EIN LEBEN FÜR FRIEDEN UND SOLIDARITÄT

Zum Tod von Carl Ordnung

Carl Ordnung wurde am 18. Oktober 1927 in Lengenfeld (Vogtland) geboren. Er wurde noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges zur Wehrmacht eingezogen. Nach Kriegsende ließ er sich zum Neulehrer ausbilden. Als SPD-Mitglied wurde er 1946 von der SED übernommen. Er trat aber auch der Evangelisch-methodistischen Kirche bei und wurde dort Laienprediger. Von 1948 bis 1951 studierte er Germanistik, Psychologie, Geschichte und Theologie an der Leipziger Universität. Danach arbeitete er als Lehrer in Reichenbach im Vogtland. 1950 trat er aus der SED aus, zwei Jahre später in die (Ost)-CDU ein. 1957 wurde er Redakteur der CDU-Tageszeitung "Neue Zeit" in Berlin, später wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Hauptvorstand der CDU. Außerdem übernahm er die Funktion des Sekretärs des DDR-Regionalausschusses der Christlichen Friedenskonferenz (CFK), die er bis zu dessen Ende 1990 ausübte. In der internationalen CFK war Ordnung Sekretär der Kommission Politik und Ökonomie. 1989/90 nahm er am "Runden Tisch" teil (in der Arbeitsgruppe Sicherheit und Abrüstung) und war dann nach der letzten Volkskammerwahl im März 1990 noch einige Monate im Büro des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière als entwicklungspolitischer Berater tätig. Nach der deutschen Vereinigung war Ordnung über ein Jahrzehnt ehrenamtlicher Vorsitzender und dann noch weitere Jahre Vorstandsmitglied von "Solidaritätsdienst International" (SODI), der Nachfolgeorganisation des Solidaritätskomitees der DDR. Bis 2003 gehörte er der Synode der Evangelisch-methodistischen Kirche an.

Ich habe Carl Ordnung vor ca. 40 Jahren in der damaligen DDR kennengelernt. Schon bei der ersten Begegnung beeindruckten mich seine Offenheit und sein Diskussionsstil, der sich wohltuend von der sonst in der DDR weithin üblichen propagandistischen Formelhaftigkeit unterschied. Im März 1977 war Carl Ordnung erstmals als Gast der AKC in Österreich. Während seines einwöchigen Aufenthaltes hielt er Vorträge in Wien, Kärnten und Tirol. Die Themen waren damals: "Kein Friede ohne Gerechtigkeit - die Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung", "Christen im Kampf für Frieden und Gerechtigkeit" sowie "Zusammenarbeit von Christen und Marxisten - Theorie und Praxis". Ihm ging es nicht darum, "DDR-Propaganda" zu betreiben, sondern Christen zum gesellschaftspolitischen Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung zu motivieren.

Über viele Jahre trafen wir uns zumindest einmal pro Jahr - manchmal auch öfter. Ich kann mich daran erinnern, dass es in den Achtzigerjahren einmal eine Kampagne in der DDR gegen Leute gab, die den Sozialismus "verbessern" wollten - dahinter wurde bereits ideologische Diversion vermutet. Carl Ordnung sagte dazu einmal im Gespräch mit einer AKC-Studiendelegation, dass er sich weigere, den DDR-Sozialismus für "unverbesserlich" zu halten. Die Kampagnen zur Vorbereitung der diversen DDR-Jubiläen - es war anlässlich des 35. Jahrestages der DDR - kommentierte er mir gegenüber mit der (im nachhinein betrachtet prophetischen) Bemerkung: jemand, der seinen 35. Geburtstag so groß feiere, sei sich offenbar nicht sicher, ob er den 50. erleben wird. Rund um den 40. Jahrestag der DDR begann dann auch das Ende - wobei auch damals noch nicht vorherzusehen war, wie rasch und total es sein würde.

Carl Ordnung war kein "Dissident" oder "Regimegegner". Er glaubte an die Verbesserungs- und Erneuerungsfähigkeit des "realen" Sozialismus (auch in der DDR) als Alternative nicht nur zum bundesrepublikanischen, sondern auch zum globalen Kapitalismus, wobei er dabei immer auch die Dritte Welt sowie die globale Perspektive von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung mit im Blick hatte. Deshalb engagierte er sich in der DDR für den Sozialismus, ohne ein "blinder Parteigänger" zu sein. Er sah die Fehler und Irrtümer des "realen Sozialismus", die ihm allerdings geringfügiger erschienen als die globalen Auswirkungen des "realen Kapitalismus" - vor allem für die Dritte Welt.

Obwohl Carl Ordnung wiederholt Skepsis gegenüber der Entwicklung in der DDR (und im übrigen Realsozialismus) geäußert hat, hat er die "Wende" 1989/90 nicht vorhergesehen. Bei allen positiven Momenten sah er sehr rasch auch die Gefahren und negativen Entwicklungen einer kritiklosen Übernahme des BRD-Modells und schließlich des bedingungslosen Anschlusses. Nicht wenige seiner (Ost)-CDU-Parteifreunde "wendeten" sich rasch von DDR-Apologeten zu enthusiastischen Kohl-Befürwortern. Carl Ordnung versuchte zu Beginn der "Wende" noch, zumindest einen "linken Flügel" in der Ost-Berliner CDU in die Vereinigung hinüber zu retten. Als dies jedoch scheiterte, wandte er sich von der CDU insgesamt ab.

Ordnung hat aus dem Scheitern des realen Sozialismus weder die Schlussfolgerung gezogen, man müsse sich nun dem "siegreichen" System anpassen, noch beharrt er trotzig auf der Verteidigung des "besiegten" Systems - und er hat sich auch nicht resigniert in die Privatheit zurückgezogen. Er engagierte sich Carl Ordnung weiterhin in der Ökumene, der Friedensarbeit und der Dritte-Welt-Solidarität. Für ihn bestanden die grundlegenden Aufgaben, für die er sich Zeit seines Lebens engagiert hat, weiter: nämlich Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Ja, sie sind unter den neuen Bedingungen in gewisser Weise sogar noch wichtiger geworden. Dennoch: die "Wende" bedeutete nicht nur eine Veränderung der politischen Strategien, sondern auch eine Veränderung des Denkens. Carl Ordnung hat wenige Monate nach der "Wende" geschrieben, dass sich das "Projekt einer solidarischen Weltgesellschaft nicht im Konkurrenz- und Klassenkampf" unterschiedlicher Systeme realisieren könne, sondern es müsse "allmählich Gestalt gewinnen durch eine große Vielfalt schöpferischer Basisaktivitäten in allen Gesellschaften".

Carl Ordnung schrieb schon zu DDR-Zeiten mehrmals in "Kritisches Christentum". Seit der Wende veröffentlichte er rund 20 Beiträge in unserer Zeitschrift. Der letzte war im Heft 330/331 (September/Oktober 2009) dem 20. Jahrestag des "Mauerfalls" gewidmet. Ordnung nannte seinen Kommentar "Die gestohlene Revolution", weil er der Meinung war, dass der bloße "Anschluss" der DDR an die BRD im Oktober 1990 nicht der ursprünglichen Zielsetzung der friedlichen Proteste vom Herbst 1989 entsprach. Vielmehr seien die "friedlichen Revolutionäre entmündigt und enterbt" worden. Zu seinem 80. Geburtstag (2007) veranstaltete "Solidaritätsdienst International" ein Symposium unter dem Motto "Carl Ordnung - Leben für Frieden und Solidarität". In der Festschrift heißt es über ihn: "Als Christ, der seinen Glauben aktiv lebt, fühlte und fühlt er sich immer den traditionellen Werten und Zielen der Solidarität aus gesellschaftlicher Verantwortung und sozialpolitischer Tradition verpflichtet. In diesem Sinne hat sich Carl Ordnung immer wieder eingebracht in die Diskussion über die Fragen Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, hat sie auf ihre Wurzeln zurückführt, auf die Bergpredigt ebenso wie auf den Utopischen Sozialismus, und hat gleichzeitig auch ganz konkret die neuen, aktuellen Herausforderungen angesprochen - hat die neoliberale Wirtschaftspolitik als Ursache und nicht als Lösung unserer aktuellen Probleme benannt." In diesem Sinne hat er auch immer wieder in "KC" publiziert - und so wird er uns in Erinnerung bleiben: als unermüdlicher Streiter für Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der in einer schwierigen Zeit auch oft missverstanden wurde, aber diesen Grundanliegen immer treu geblieben ist. Am 6. März 2012 ist Carl Ordnung von uns gegangen.

Adalbert Krims
"Kritisches Christentum", Wien