»Und denkt daran, die größten Luxusgüter sind Gesundheit, Zeit und Schlaf. Und nicht Geld.«

Dieser Sinnspruch geht als elektronischer Anstecker, als Bildchen in den Kommunikationsnetzwerken um. Zunächst scheint er eine gute Wahrheit auszusprechen und uns zu ermahnen, unsere Prioritäten gut zu setzen. In Wirklichkeit ist er aber eine bittere Analyse oder eine zynische Bemerkung, je nach Lesersituation. Das Schnipselchen ist sicher nicht zynisch gemeint, kann aber auf jemand, der von allem zu wenig hat, nur zu leicht zynisch wirken.

Zunächst mal: Ja, Gesundheit, Zeit und Schlaf sind grundlegende Bedürfnisse, und bestimmen unsere Lebensqualität wesentlich. Der Kontostand hat eine untergeordnete Bedeutung, für sich genommen. Aber: Ist er zu niedrig, geht es mit Gesundheit, Zeit und Schlaf bergab. Das ist wahrscheinlich auch die eigentlich gemeinte Sachaussage dieses Sätzchens: Gesundheit, Zeit und Schlaf sind am wichtigsten, irgendwann danach kommt das Geld. Dem gegenüber suggeriert die Formulierung aber, dass Geld nicht so wichtig sei, dass man seine Werte neu justieren solle. Und wenn das nicht gelingt und die Jagd nach Geld nicht aufhört, dann ist es ein alter Bekannter im therapeutisch-christlichen Geschäft: das persönliche moralische Versagen.

Jetzt gefiel mir das Sätzchen schon nicht mehr so gut. Beim Nochmal- und Nochmal-Lesen und -Bedenken kommt der Begriff »Luxusgüter« in den Blick. Nicht: Die größten Werte oder die wichtigsten Lebensziele sind Gesundheit usw., sondern: Luxusgüter. Und darin ist mehr Wahrheit, als der ursprüngliche Schöpfer dieser Zeile sich wahrscheinlich gedacht hat. Wir leben in einer Welt, in der durch strukturelle Gewalt unsere Gesundheit, unsere Zeit und unser Schlaf zu Luxusgütern geworden sind. Für die Mehrheit sind diese elementaren Lebensqualitätsmarker nur in Konkurrenz und Kampf häppchenweise zu erreichen, und immer zu wenig davon. Eine solche Welt ist in ihren Grundfesten erschüttert. Die ist verfault vom Kopf bis zur Wurzel.

Ich glaube nicht, dass die Menschen, die diesen Spruch in den Kommunikationsnetzwerken »liken«, dies als Analyse des Kapitalismus sehen. Immer gab und gibt es Götter, die ausbeuterische Gesellschaftsverhältnisse rechtfertigen, und je goldener der Käfig ist, je weniger greifbar der Zwang ist und je besser die Propagandaabteilung der Religion funktioniert, um so freudiger spielen die Kegel mit. Der heutige Kapitalismus bedient sich der Formaldemokratie, um sein böses Spiel auf die Untertanen wie eine Spielzeugfabrik auf Kinder wirken zu lassen. Der Gott der Bibel ist anders. Wer die Große Erzählung der biblischen Propheten kennt, kann mit Kapitalismus und Neokolonialismus nicht zufrieden sein. Schaut hin. Jeder ist ein Kind Gottes, für jeden will der NAME gerechte Strukturen. Im Reich Gottes sind Gesundheit, Zeit und Schlaf kein Luxus, sondern selbstverständlich Menschenrecht. Die Ordnung, die sich die Menschen im Reich Gottes geben, sieht selbstverständlich keine Schieflage zwischen Abhängigen und Erniedrigten auf der einen und Reichen und Mächtigen auf der anderen Seite vor.

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