Textfeld: INFO
zum Thema: 
Freiburger Finanzkrise
 auf der Suche nach den verlorenen Millionen

Fraktionsgemeinschaft  Unabhängige Frauen & Linke Liste

 

 

 

 

 

 

Februar 2003

 
 

 


„Die große Notoperation“

 

titelt die BZ am 14.11.2002 und erläutert der Freiburger Bürgerschaft, dass in den nächsten beiden Jahren Haushaltslöcher in der Größenordnung von jeweils knapp 90 Mio. Euro zu stopfen seien. Seitdem wird heftig diskutiert in der Stadt, welche der „85 Grausamkeiten“ uns angetan und welche noch ersonnen werden sollten.

Textfeld:  Nur am Rande scheint es die Badische Zeitung, die Stadtverwaltung und die seither eifrig um die Wette „sparenden“ Fraktionen der Parteien im Gemeinderat zu interessieren, woher diese Löcher kommen, wer sie maßgeblich zu verantworten hat. Diesen Mangel abzustellen sollen diese Informationen einen Beitrag leisten – bekanntlich lassen sich Missstände nur dann nachhaltig beheben, wenn ihre Ursachen gründlich analysiert und (soweit möglich) beseitigt werden...

 

„Der Steuer-Wahn“

 

Dieser „Spiegel“ – Titel der ersten Dezemberwoche reiht sich nahtlos ein in die Stimmungsmache der letzten Monate. In Übereinstimmung mit fast allen Medien und den RepräsentantInnen verschiedener Parteien breitet das Blatt deren Botschaft vor uns aus: Wir alle zahlen viel zu viele Steuern, und jetzt sollen wir alle noch viel mehr als bisher an den Staat abtreten – bis zum letzten Hemd.

Textfeld: Zum Vergleich:
rechnerische Mindereinnahmen wegen verringerter Steuerquote	46,5 Mrd. EURO
Nettokreditaufnahme des Bundes 2001	14 Mrd. EURO1
gesamte Sozialhilfeausgaben aller Kommunen 2001 	27 Mrd. EURO2
3% des BIP (Maastricht – Kriterium)	62 Mrd. EURO
Quellen: 1 Deutsche Bundesbank, 2 Deutscher Städtetag
Leider geht diese Aussage an der Realität völlig vorbei. Noch nie wurden in der Bundesrepublik (anteilsmäßig) so wenig Steuern bezahlt wie im Jahre 2002. Die Steuerquote, die angibt, wieviel Prozent des BIP der Staat insgesamt als Steuern einnimmt, schwankte seit 1970 bis zum Jahr 2000 immer zwischen knapp 22 und 25 Prozent. Dann kam Rot-Grün mit Ihrer Steuerreform und dem Ergebnis, dass nach 23% im Jahr 2000 im folgenden Jahr noch 21,6 und 2002 gar nur noch 20,8* Prozent des erwirtschafteten Wertes an den Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben abgeführt werden mussten. Dieser Rückgang der Quote innerhalb von nur 2 Jahren um 2,2 Prozentpunkte ist rekordverdächtig.

Konkret: Wäre die Steuerquote des Jahres 2000 beibehalten worden, dann hätten die öffentlichen Haushalte im Jahr 2002 ca. 46,5 Mrd. Euro mehr zur Verfügung gehabt. Das bedeutet: es gäbe keine Diskussion um angeblich notwendige „Sparmaßnahmen“, es könnte sogar noch einiges zum Schuldenabbau auf die Seite gelegt und Schluss gemacht werden mit der immer weitergehenden Verlagerung der finanziellen Probleme nach unten, zu den Kommunen. Übrigens: hätte die Steuerquote von 1980 heute noch Gültigkeit, dann kämen per Steuereinnahmen jährlich 71 Mrd. Euro mehr in die öffentlichen Kassen als im abgelaufenen Jahr...

 

Textfeld: Millionäre zahlen keine SteuernSollte der/die LeserIn dieser Zeilen nun vergebens nach den positiven persönlichen Auswirkungen der massiven Steuerentlastung Ausschau halten, so liegt dies mit einiger Sicherheit daran, dass sie/er nicht zur Schar der Begünstigten gehört – denn gleichmäßig auf alle verteilt oder gar denen bevorzugt zugestanden, die ein paar Euro mehr wirklich dringend brauchen könnten, werden die Steuergeschenke beileibe nicht.

 

Textfeld: Rot – Grün entlastet KonzerneDieses Prinzip deutscher Steuerpolitik - bereits unter Kohl recht dreist praktiziert - wurde mit leichten Korrekturen und einigen Schwerpunktverlagerungen von „Rot - Grün“ konsequent weitergeführt. Unter der Überschrift „weniger Staat“ fand eine stetige Reduktion der Staatseinnahmen zugunsten privater Einkommen und Vermögen statt, auch wenn damit die öffentlichen Haushalte zunehmend an die Wand gefahren werden. Waren es vor 1998 die „Besserverdienenden“, deren Privatvermögen durch milliardenschwere Steuergeschenke explosionsartig in die Höhe getrieben wurde („Millionäre zahlen keine Steuern“), so änderte „Rot-Grün“ die Hauptrichtung der Geschenke. Teilweiser Abbau der Steuersparmöglichkeiten für Privatpersonen gingen einher mit der Eröffnung bis dahin nicht dagewesener Steuervermeidungsangebote für die Großunternehmen. Die Folge: Der faktische Wegfall der Einnahmen der sog. „Körperschaftssteuer“, die im Jahr 2000 noch über 23 Mrd. Euro einbrachte.

 

Textfeld: Rückgang der Ge-werbesteuer um 16%Ein weiterer Teil der aktuellen Steuergeschenke an die Wirtschaft betrifft die Kommunen ganz direkt: die Einnahmen aus der Gewerbesteuer gingen als direkte Folge der Steuerreform von 2000 bis 2002 um 16% zurück. Und inzwischen befinden sich auch die privaten Steuersenkungsstrategien wieder auf dem Vormarsch. Zusammen mit der Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer spiegeln sich diese wieder in einem Rückgang der „veranlagten Einkommensteuer“ um 4,6 Mrd. Euro * innerhalb von 2 Jahren. (Näheres siehe Extra – Seite „die Geschichte der steuerlichen Milliardengeschenke“ mit einer grafischen Darstellung der Entwicklung der Steuereinnahmen).

 

Diese rotgrüne Steuerpolitik führt eine Entwicklung fort, die seit Jahrzehnten festzustellen ist:

Die Belastung des Faktors Kapital wird ständig gesenkt - der Faktor Arbeit dafür immer stärker belastet.

 

Die durchschnittliche Lohnsteuerbelastung der abhängig Beschäftigten hat sich in den letzten 40 Jahren mehr als verdreifacht, dagegen sank die steuerliche Belastung der Gewinn- und Vermögenseinkommen deutlich.: Im Jahr 2000 betrug sie nur noch ein Drittel dessen, was während des sog. „Wirtschaftswunders“ den Gewinnen zugemutet wurde. Die Nettoeinkünfte aus Gewinn- und Vermögenseinkommen sind deutlich schneller gewachsen als die der abhängig Beschäftigten. Entsprechend ging der Anteil der Nettolöhne der abhängig Beschäftigten am verfügbaren Volkseinkommen (Nettolohnquote) kräftig zurück, die Nettogewinnquote stieg auf etwa 30 Prozent.

 

Die Hintergründe

Hinter dieser massiven Entlastung der Kapitaleinkommen steht einerseits die Hoffnung, dadurch Wachstum und neue Arbeitsplätze zu erreichen. Doch diese Hoffnung trügt seit Jahrzehnten: der wachsende Reichtum von Unternehmen und Privatpersonen kommt kaum der gesamten Gesellschaft zugute. Steuersenkungen führen – so zeigen es die letzten Jahrzehnte überdeutlich – nicht zu neuen Arbeitsplätzen, dafür ganz offensichtlich zu wachsender öffentlicher Armut.

Textfeld: Der internationale Steuerwettbewerb nahm ruinöse Züge anTextfeld: Steuersenkungen füh-ren nicht zu neuen Ar-beitsplätzen, sondern zu wachsender öffentlicher ArmutAndererseits ist sie Ausdruck eines seit Jahren festzustellenden ruinösen Steuersenkungswettlaufs der Industrieländer. Seit Anfang der 80er-Jahre spielen die deutschen Regierungen in diesem Wettlauf allerdings nicht gerade die Rolle eines Bremsers. Die steuerliche Belastung insbesondere der Großunternehmen fiel in Deutschland deutlich schneller als in vergleichbaren Ländern. Und auch die Kapitalbesteuerung wurde in Deutschland wesentlich stärker gesenkt als beispielsweise in Großbritannien und den USA. Umgekehrt wuchs in Deutschland die durchschnittliche Besteuerung der Arbeitseinkommen überdurchschnittlich und erreichte deutlich höhere Werte als in den USA oder Großbritannien. Auf den erwünschten Nutzen wartet die deutsche Wirtschaft noch immer vergeblich.

Ein wesentlicher Grund für den Steuersenkungswettbewerb findet sich in der Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte. Diese von den Industriestaaten unter der Behauptung der Förderung eines „wachsenden Wohlstands für alle“ vorangetriebene Entwicklung führte zu lukrativen Steueroasen und wachsendem Druck auf die OECD-Länder, die Besteuerung von Kapital, Unternehmen und Großverdienern zurückzufahren. Die Mehrwertsteuersätze, sowie die von allen BürgerInnen zu zahlenden kommunalen Abgaben zeigen einen gegenläufigen Trend. Dies alles ist Teil einer umfassenden fiskalische Umverteilung von unten nach oben.

 

...und die Konjunktur?

Natürlich hat auch die schwache Konjunktur und steigende Arbeitslosigkeit ihren Anteil als Ursache rückläufiger staatlicher Einnahmen. Angesichts der vorliegenden Zahlen sind diese Gründe allerdings als eher zweitrangig einzustufen. Umgekehrt jedoch gibt die Entwicklung Anlass zu größter Besorgnis: wenn viele Milliarden jährlich – wie es derzeit geschieht – den öffentlichen Haushalten entzogen und in die Aktiendepots und Geldkonten von Firmen und Privatleuten umgelenkt werden, dann führt dies fast zwangsläufig zu einem nicht unerheblichen Rückgang öffentlicher Investitionen. Unter ausbleibenden öffentlichen Aufträgen leidet ein Teil der Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, in der Tat zunehmend. Dass darüber hinaus zum Haushaltsausgleich gerade noch den sozial Benachteiligten Leistungen massiv gekürzt werden (Beispiel Arbeitslosenhilfe), verringert die Kaufkraft gerade derjenigen, die erfahrungsgemäß ihr Geld nicht horten, sondern ausgeben.

 

Textfeld: Ohne eine radikale Wende wird sich die Situation in Bund, Ländern und Gemein-den in den nächsten Jahren massiv weiter verschlimmernAls Fazit bleibt: eine Stärkung der Konjunktur erreicht man so nicht; fast sicher das Gegenteil. Zumal die ebenfalls mit Sparmaßnahmen begründete Erhöhung der Arbeitslosigkeit durch Abbau öffentlicher Arbeitsplätze die Situation zusätzlich verschärft: ausfallende Steuern und Sozialabgaben der dann Arbeitslosen und weitere Kosten der Arbeitslosigkeit belasten die öffentlichen Haushalte tatsächlich.

Ohne eine radikale Wende wird sich die Situation in Bund, Ländern und Gemeinden in den nächsten Jahren massiv weiter verschlimmern. Anstelle der alten, immer gleichen Rezepte, die zu immer mehr Arbeitslosigkeit und zunehmender Spaltung der Gesellschaft geführt haben, muss der Mut aufgebracht werden, (für manche) unbequeme Wege zu beschreiten: entsprechend ihrer Wirtschaftskraft und ihrem Vermögen oder gar Überfluss müssen diejenigen wieder mehr zur solidarischen Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben herangezogen werden, die durch eine geringfügig höhere Besteuerung nicht in Existenznöte geraten.

 

Textfeld:  die Geschichte der

steuerlichen

Milliardengeschenke

 

Dass „Millionäre keine Steuern mehr zahlen“ war Mitte der 90er-Jahre eine der allseits bekannten Auswirkungen Kohl‘scher Steuerpolitik mit ihrer einseitigen Begünstigung der „Besserverdienenden“ in dieser Republik. Drastisch die Auswirkung auf die öffentlichen Kassen:

·         die „veranlagte Einkommensteuer“, in der vor allem die Steuerzahlungen und Rückzahlungen aufgrund von Steuervergünstigungen von gutverdienenden Privatpersonen zu Buche schlagen, schrumpfte von 21 Mrd. Euro (über 40 Mrd. DM) Anfang der 90er-Jahre auf einen Restposten von knapp 4 Mrd. Euro (1997) zusammen (siehe Schaubild). Allein wegen dieser massiven Steuerausfälle sank die gesamte Steuerquote auf einen Minimalwert von knapp 22% im Jahr 1997 (siehe Grafik auf Seite 1).

Diese Ungerechtigkeit abzuschaffen zu wollen war erklärte Absicht grüner und sozialdemokratischer PolitikerInnen vor der 98er-Wahl. Tatsächlich wurde eine radikale Kehrtwendung nach gewonnener Wahl angekündigt – die danach allerdings nur bruchstückhaft in die Praxis umgesetzt wurde. Der Mut schien die Leute schnell verlassen zu haben mit dem Resultat, dass die Steuerzahlungen der begüterten Privatleute zwar anstiegen, aber kaum mehr als die Hälfte der früheren Werte erreichten. Ab 2001 ist wiederum ein deutlicher Abwärtstrend zu beklagen, was auf eine wieder zunehmende Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen und nicht zuletzt auf die Senkung des Spitzensteuersatzes durch „Rot-Grün“ zurückzuführen ist.

Nicht genug der unvollständigen „Reparaturen“ Kohl’scher steuerlicher Untaten ersannen die an die Regierung gekommenen rot-grünen „ExpertInnen“ neue, ungeahnte Steuergeschenke in bis dahin nicht dagewesenem Ausmaß:

·         Textfeld:  die Körperschaftssteuer, die ausschließlich von Großunternehmen zu bezahlen ist, wurde im Rahmen der Steuerreform neu geregelt. Dabei wurden nicht nur die Steuersätze massiv gesenkt, sondern auch Regelungen getroffen, nach denen (aufgrund unterschiedlicher Steuersätze für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne) „zuviel“ gezahlte Steuern der letzten Jahre mit anfallenden aktuellen Zahlungen verrechnet werden konnten. Folge: im Jahr 2000 hatten die Einnahmen aus dieser Quelle noch gut 23 Mrd. Euro (46 Mrd. DM) betragen – seither ist sie im Ergebnis quasi abgeschafft (siehe Schaubild). Auch die Tatsache, dass der größte Teil dieser Steuergeschenke sich in den Taschen der Anteilseigner wiederfindet (und eben nicht in erhöhten Investitionen), wo sie eigentlich zu entsprechenden Mehreinnahmen bei der Kapitalertragssteuer hätten führen müssen, gleicht im Ergebnis – was die gesamten Steuereinnahmen angeht – diese Ausfälle nur zu einem geringen Teil wieder aus.

·         Textfeld: *Die Zahlenangaben für 2002 entstammen der offiziellen Steuerschätzung des BMF vom November 2002die Gewerbesteuer, die einzige Steuerform, deren Einnahmen vollständig den Gemeinden zufließen, wurde ebenfalls von der rot-grünen Steuerreform in Mitleidenschaft gezogen: vor allem großen Unternehmen wurde die Möglichkeiten eröffnet, Verluste an einem Standort mit Gewinnen anderswo zu verrechnen. Dies traf die Kommunen unterschiedlich stark: Freiburg glücklicherweise fast nicht, andere Städte stehen vor dem Bankrott, weil bis zu 30% dieser Einnahmen weggebrochen sind. Insgesamt zeigt sich ein Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen um 4,3 Mrd. Euro*, was gegenüber 2000 ein Minus von 16% bedeutet. In völliger Missachtung der realistischen Erwartungen erhöhte der Bund gleichzeitig die Gewerbesteuerumlage, den Teil der Gemeindeeinnahmen also, den die Kommunen an Bund und Länder abzugeben haben mit der Begründung, durch diese Steuerreform würde das Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden steigen...

 

Was in den nächsten Jahren zu erwarten ist,

lässt sich nur schätzen. Das Bundesfinanzministerium erhofft bei der Körperschaftssteuer eine Zunahme in 2003 um 6 Mrd., bei der veranlagten Einkommensteuer dagegen 2 Mrd. weniger, und, was die Gewerbesteuer angeht, nahezu Gleichstand*. Beim „Institut der deutschen Wirtschaft“ (iwd Nr. 33/02), dem erfahrungsgemäß stets sehr daran gelegen ist, aufzuzeigen, wie sehr die Wirtschaft unter der „viel zu hohen“ Steuerlast leidet, geht man in den nächsten Jahren von jährlich ca. 3 Mrd. mehr Körperschafts-, bzw. 1,2 Mrd. mehr Gewerbesteuer und kaum erhöhter veranlagter Einkommen - Steuer aus. und „Der Spiegel“ (Nr. 5/2002) berichtet, dass „deutsche Unternehmen nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums sogenannte „Verlustvorträge“ in Höhe von ca. 240 Mrd. Euro vor sich herschieben - heben sie diesen Schatz in den nächsten Jahren, um ihn mit ihren Gewinnen zu verrechnen, so drohen weitere Steuerausfälle von bis zu 60 Mrd. Euro.

 

Kein Kurswechsel in Sicht

Wieweit die rotgrüne Regierung derzeit von einem Kurswechsel entfernt ist, zeigt die Ankündigung der sog. „Zinsabschlagsteuer“ in Höhe von 25% auf Kapitalerträge. Eingeführt zur Abwehr der Forderungen nach der Wiederbelebung der Vermögenssteuer (mit der sie inhaltlich rein gar nichts zu tun hat) hätte diese neue Steuer bezeichnenderweise nur einen absolut gesicherten Effekt: die Halbierung der Steuerbelastung auf Geldvermögenseinkünfte für all jene MitbürgerInnen, die aufgrund überdurchschnittlich hoher Einkünfte für einen Teil des Einkommens den Spitzensteuersatz zu zahlen haben. Alles andere, einschließlich der angekündigten vielen zusätzlichen Steuermilliarden von reumütigen Kriminellen ist reine Spekulation.

 

Was hat das alles mit Freiburg zu tun?

 

Dazu meint OB Dr. Salomon (am 1.10.02):

„Die wesentlichen Gründe für die Verschlechterung der Haushaltslage sind nicht durch eigene Entscheidungen der Stadt hausgemacht, sondern durch Einflüsse von außen verursacht.“

 

Textfeld: Die wichtigsten Veränderungen im Haushalt* (laut OB Dr. Salomon am 1.10.02):

Sozialhilfeausgaben und Zuschüsse	7,1 Mio. Euro mehr
Steuern und Allgemeine Zuweisungen	9,4 Mio. Euro weniger
Ausgaben für Umlagen	4,9 Mio. Euro mehr
Verwaltungs- und Be-triebsaufwand	4,7 Mio. Euro mehr
Personalausgaben (ohne neue Stellen)	6,5 Mio. Euro mehr
Sonstige Finanzeinnahmen	9,0 Mio. Euro weniger, davon allein fast 6 Mio. Euro bei den Stadtwerken wegen der Badenova – Fusion.
Fehlbetrag	41,5 Millionen Euro

* Zahlen für 2003 im Vergleich zum Nachtragshaushalt 2002
Tatsache ist:

·         Seit vielen Jahren werden die Lasten der Landes- und Bundespolitik auf die Kommunen abgeschoben, ohne dafür auch nur annähernd Ausgleich zu schaffen. Vor allem die immer weiter vorangetriebenen Kürzungen der Arbeitslosenunterstützung sorgen für einen unerträglichen Anstieg der (von den Kommunen zu zahlenden) Sozialhilfeleistungen. Das aktuelle Minus: 7,1 Mio. Euro

·         An den Einkommensteuern sind die Kommunen anteilsmäßig beteiligt. Während die Einnahmen aus der Lohnsteuer der abhängig Beschäftigten in den vergangenen Jahren keine großen Schwankungen aufweist, leiden die Gemeinden direkt unter den viel zu niedrigen und sinkenden Einnahmen aus der veranlagten Einkommensteuer. Das Wegbrechen der Körperschaftssteuer bekommen die Kommunen durch Kürzungen der Bundes. und Landeszuschüsse zu spüren. Das aktuelle Minus: 9,4 Mio. Euro.

·         Das „Minus“ der „Steuern und Allgemeine Zuweisungen“ wird sich (laut Bürgermeister Neideck vom 13.11.02) um weitere 16 Mio. erhöhen, wenn die Auswirkungen der Zahlen der aktuellsten Steuerschätzung auf die Gemeinden zum Tragen kommen.

·         Ein Großteil der erhöhten „Ausgaben für Umlagen“ ergibt sich aus dem Anstieg der Zahlungen an den Landeswohlfahrtsverband, die u.a. aufgrund des Rückgangs der Finanzzuweisung des Landes notwendig wird. Nicht berücksichtigt scheint bei der angegebenen Summe (4,9 Mio. Euro) die die Freiburg abverlangte Erhöhung der Gewerbesteuer-Umlage von 20 auf 28%, die zu einem zusätzlichen Verlust von ca. 7 Mio. Euro führen dürfte.

 

Nach dieser Übersicht muss demnach weit mehr als die Hälfte der zusätzlichen finanziellen Belastungen den politischen Entscheidungen der Bundes- und Landesregierung zugeordnet werden.

Doch alle Probleme sind nicht auf Berliner und Stuttgarter Entscheidungen zurückzuführen. Vielmehr ist die

 

Freiburger Finanzkrise auch hausgemacht

Die Ära Böhme war geprägt durch eine Sucht nach repräsentativen Großprojekten, von denen das Konzerthaus (früher KTS) am erbittertsten umkämpft war und heute noch die massivsten Auswirkungen zeitigt - mit jährlichen Folgekosten von über 4 Mio. Euro, plus einer weiteren Mio. Euro für die Konzerthausgarage.

Die NEUE MESSE wurde gegen alle Bedenken durchgesetzt, wiewohl Gutachten belegen, dass alle vergleichbaren Messen in Süddeutschland defizitär arbeiten und prognostiziert wurde, dass die NEUE MESSE nicht wesentlich mehr Umsatz werde erzielen können als die Alte, bei deutlich höheren Kosten. Schließlich wurde die NEUE MESSE vor Jahren finanziert, während die Erlöse für den Alten Messplatz erst jetzt nach Jahren erzielt werden (womit sich die Stadt bei der Bebauung des Alten Messplatzes erpressbar gemacht hat). Diese Reihe ließe sich mit dem 4-spurigen Ausbau der Mooswaldallee, dem Aussichtsturm auf dem Schlossberg, der geplanten BAKOLA-Bebauung, dem Autobahnzubringeranschluss für das Gewerbegebiet Haid usw. beliebig fortführen. Besonders gravierende Auswirkungen hatte jedoch der Beschluss zur Aufgabe der Stadtwerke und der Fusion zur Badenova. Statt wie erhofft Synergieeffekte zu erzielen, hat sich schnell gezeigt, dass die Badenova der Stadt viele Millionen Euro weniger einbringt als es die Stadtwerke früher getan haben. Allein hier ist ein Haushaltsloch in zweistelliger Millionenhöhe aufgetreten.

 

Lösungsansätze von Verwaltung und Gemeinderats - Mehrheit

Stadtverwaltung und Gemeinderats - Mehrheit lassen in ihren Bemühungen zur Bewältigung der Freiburger Haushaltskrise alle bundes- und landespolitischen Aspekte außer acht. Ohne eine grundlegende Änderung der Finanzausstattung der Kommunen durch Bund und Land wird sich die Stadt Freiburg jedoch wie ein Hamster im Laufrad bewegen und jedes neue Haushaltsloch zu stopfen versuchen, während das nächste bereits produziert wird. Nur wenn ernsthaft eine grundsätzliche Lösung für alle Kommunen der BRD gefunden wird, macht eine Haushaltssanierung vor Ort wirklich Sinn. Dabei darf der Schwerpunkt nicht einseitig auf das „Sparen“ gelegt werden, wie es Stadtverwaltung und Gemeinderatsmehrheit tun, vorrangig muss auch die Verbesserung der kommunalen Einnahmen ins Auge gefasst werden.

Textfeld: Ohne eine grundlegende Änderung der Finanzausstattung der Kommunen wird sich die Stadt Freiburg wie ein Hamster im Laufrad bewegenDie Freiburger Stadtverwaltung rühmt sich, wie „ausgewogen“ ihre Sparvorschläge seien. Tatsächlich müssen sowohl die Kultur, als auch der Sport und der Sozialbereich „bluten“. Von Ausgewogenheit keine Spur:

Während weitere 150 Stellen bei der Stadt abgebaut werden sollen, während Selbsthilfe - Initiativen, freie Kulturgruppen und soziale Initiativen durch z.T. massive Kürzungen von Zuschüssen ihre Arbeit einschränken müssen, z.T. in ihrem Bestand bedroht sind, während das Stadttheater an den „Rand der Schließung“ gespart und Museen geschlossen werden sollen, während dringend notwendige soziale Aufgaben aufgegeben werden und der verheerende bauliche Zustand der Freiburger Schulen sich weiter verschlechtert, soll nach den Plänen von OB Salomon und der Stadtverwaltung die Freiburger Wirtschaft nicht einen einzigen Cent zur Bewältigung der Finanzkrise leisten müssen.

Daneben verstärkt sich der Eindruck, dass es der Stadtverwaltung nicht daran liegt, genaue und nachvollziehbare Zahlen auf den Tisch zu legen. Der Verdacht wächst, dass die Haushaltskrise dazu benutzt werden soll, Panik zu schüren, um eine gesellschaftliche Zustimmung für einen Kahlschlag und „weniger Staat“ zu erzielen.

 

Die Positionen der Fraktionsgemeinschaft Unabhängige Frauen & Linke Liste

·         Die Stadtverwaltung muss alle Zahlen offen und in vergleichbarer Form auf den Tisch legen

·         „Die Gemeindefinanzierung muss auf eine solide Basis gestellt werden, weil sonst die kommunalen Investitionen noch weiter einbrechen“, wie am 7.10.02 der ver.di - Vorsitzende Bsirske anlässlich der 2. Sitzung der Gemeindefinanzkommission erklärte. Nicht nur Gemeinde- und Städtetage, auch die KommunalpolitikerInnen der in Bund und Land vertretenen Parteien sind für die Gewährleistung einer soliden Gemeindefinanzierung verantwortlich.

·         Es ist unerträglich, wenn im stillen Kämmerlein einiger OB-Vertrauter eine „Liste der Grausamkeiten“ Textfeld: In Zeiten leerer Kassen ist das Festhalten an prestigeträchtigen teu-ren Großprojekten un-verantwortlichausgearbeitet wird und dann der staunenden Öffentlichkeit präsentiert wird. Es ist unerträglich, wenn Spar - Überlegungen in nicht - öffentlichen Sitzungen einer Finanzkommission beraten und verhandelt werden, während der Gemeinderat schweigt. Es bedarf einer öffentliche Debatte über steuer- und finanzpolitische Konzeptionen der Stadt, über Möglichkeiten zur Verbesserung der kommunalen Einnahmen und zur Reduktion der Ausgaben. Und darüber, welche städtischen Aufgaben unverzichtbar sind und welche Prioritäten bei den anderen Aufgaben anzulegen sind. Die Stadt Freiburg sollte sich hier ein Beispiel nehmen an der brasilianischen Millionenstadt Porto Alegre, wo ein derartiges Verfahren  seit Jahren mit Erfolg praktiziert wird.

 

In Zeiten leerer Kassen ist das Festhalten an teuren prestigeträchtigen Großprojekten (wie z.B. der Erweiterung der NEUEN MESSE) unverantwortlich, jedoch sind Baumaßnahmen zur Sanierung der Schulen und zur Erweiterung des ÖPNV - auch zur Konjunkturstärkung - unverzichtbar. Bei sozial Benachteiligten (Familien, Kinder, Erwerbslose) müssen Kürzungen tabu sein - die Förderung ihrer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedarf in besonderem Maße kommunaler Fürsorge. Nur wenn auch Wirtschaft, Industrie und Gewerbe mit einem Beitrag zur Bewältigung der Finanzkrise herangezogen werden, kann von Ausgewogenheit gesprochen werden.

Textfeld: Wir werden alle Kürzun-gen ablehnen, die sozial Benachteiligte betreffen

Die „Streichliste der Verwaltung“

Es ist erschütternd, wie die Fraktion der Grünen, offensichtlich ohne jegliche Prüfung, erklärt hat, 84 der 85 Vorschlägen der Verwaltung der „Liste der Grausamkeiten“ zuzustimmen. Sparen kann und darf kein Selbstzweck werden, jeder einzelne Vorschlag muss auf seine positiven wie negativen Auswirkungen hin überprüft werden.

Einige dieser Vorschläge machen tatsächlich Sinn (z.B. häufigere Vermietung von Schulräumen an Dritte, gemeinsame Kantine für Rathaus und Sparkasse, organisatorische Umstrukturierungen in der Stadtverwaltung, die Synergieeffekte ermöglichen, Einführung eines Investitionscontrollings etc.) 

Andere Vorschläge müssen in ihren konkreten Auswirkungen überprüft werden, hierzu sind Sachverständige und insbesondere die Betroffenen zu hören (z.B. das Zusammenlegen von Ämtern, von Kantinen etc.)

Textfeld:  Völlig eindeutig ist, dass die Fraktionsgemeinschaft Unabhängige Frauen & Linke Liste alle diejenigen Vorschläge ablehnen wird, die die Arbeit von sozialen, kulturellen Initiativen gefährden und wichtige kommunale Aufgaben in Frage stellen. Dies gilt insbesondere für die Ideen, die besonders die sozial Benachteiligten treffen und damit zu einer weiteren Umverteilung von unten nach oben führen werden (z.B. Kürzung der Zuschüsse beim Forum Weingarten-Ost, beim Arbeitslosenpass, beim Mutter/Kind-Projekt, Einführung von Gebühren beim Mundenhof und bei der Stadtbibliothek, aber auch die geplante Schließung von Bädern und Museen)

Vorschläge der Fraktionsgemeinschaft Unabhängige Frauen & Linke Liste

Die Fraktionsgemeinschaft Unabhängige Frauen & Linke Liste haben sich natürlich ebenfalls auch Gedanken über mögliche Einnahmeverbesserungen und Einsparungen gemacht. Wir verstehen diese ausdrücklich nicht als Forderungen, sondern als Vorschläge, die wir öffentlich zur Diskussion stellen wollen:

Textfeld: Nachgedacht wer-den sollte über eine Erhöhung des Gewerbesteuer-HebesatzesNachgedacht werden sollte über eine Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes. Auch wenn dabei die Problematik besteht, dass mit einer Erhöhung der Gewerbesteuer eher mittelständische Unternehmen belastet werden und nicht die großen Konzerne und Banken. Doch auf kommunalpolitischer Ebene besteht keine andere Möglichkeit, auch die Wirtschaft zur Bewältigung der Finanzkrise heranzuziehen. Und in jedem Falle ist es den Freiburger Betrieben eine zusätzliche Belastung eher zuzumuten als vielen sozialen und kulturellen Initiativen. Eine Erhöhung des Hebesatzes (der seit 11 Jahren nicht mehr erhöht wurde) um 20 auf 420 Punkte würde zu Mehreinnahmen von ca. 3 Mio. Euro führen.

Weiter halten wir die Einführung einer „Parkraum-Bewirtschaftungs-Abgabe“ für sinnvoll. Mit dieser sollten die Freiburger Betriebe und Geschäfte eine Abgabe für die Bereitstellung öffentlicher Parkplätze leisten, von denen sie ja genauso wie die NutzerInnen profitieren.

Der Name des Dreisamstadions (und ggf. anderer öffentlicher Einrichtungen und Gebäude) könnte „verleast“ werden, d.h. für eine entsprechende Gebühr könnte es für einen bestimmten Zeitraum ein „Breuninger-Stadion“ oder eine „EuropaPark-Messe“ oder ähnliches geben. Erfahrungen zeigen, dass durch solche Maßnahmen jährliche Erlöse in Millionenhöhe zu erzielen sein könnten. Der EHC Freiburg hat solch einen Vorschlag für das Eisstadion selbst ins Gespräch gebracht.

 

Zivilen Widerstand organisieren

Ein großer Teil der Vorschläge der Stadtverwaltung  und der Gemeinderatsmehrheit sind sozial unausgewogen und treffen insbesondere die sozial Benachteiligten. Sie werden dazu beitragen, eine Umverteilung von unten nach oben noch weiter voranzutreiben.

Dabei wird versucht, die verschiedenen Interessen der Betroffenen gegeneinander auszuspielen. Auch ein Artikel, wie der von G. Kirk in der BZ vom 2.1. 03, der völlig zu Recht darauf hinweist, welche verheerenden Auswirkungen die vorgesehenen Sparmaßnahmen im sozialen Bereich haben werden und aufzeigt, wie wenig nachhaltig diese Sparvorschläge sind, welche Kosten langfristig auf die Stadt zukommen werden, um kurzfristig ein Haushaltsloch zu stopfen, geht hier leider in diese falsche Richtung, in dem er vorgibt, dass lieber bei der Kultur statt im Sozialen gekürzt werden solle.

Die Fraktionsgemeinschaft Unabhängige Frauen & Linke Liste wird dieses Spiel nicht mitmachen. Wir sind der Überzeugung, dass die Stadt ihren Aufgaben sowohl im kulturellen als auch im sozialen und im Sport- und Schulbereich nachkommen muss.

Zur Lösung der Finanzkrise ist ein grundlegend anderer Weg zu beschreiten. Und hierfür ist in Freiburg die Organisation zivilen Widerstands und der Solidarität der Betroffenen zu organisieren.

Es ist notwendig, dass die Betroffenen selbst miteinander ins Gespräch kommen.

Ein erster sinnvoller Ansatz dazu ist unser Hearing am Montag, 3.2.2003 im „Kaisersaal“ des Historischen Kaufhauses (Münsterplatz). Weitere gemeinsame Schritte müssen folgen.

 

 


Wir möchten darauf hinweisen, dass jede/r Bürger/in und jede/r Steuerzahler/in das Recht hat, selbst Einwendungen gegen den Haushaltsentwurf der Stadtverwaltung einzubringen. Diese Einwendungen können formlos erfolgen und haben Antragscharakter. Die Frist hierfür läuft bis zum 18. Februar 2003

 

Nachfragen können gerichtet werden an

Fraktionsgemeinschaft Unabhängige Frauen & Linke Liste

Tel.Nr.: 201-1870 in den Bürozeiten Di 15-18, Mi 15Uhr 30 - 18 Uhr und Do 14 bis 17 Uhr

e-Mail : fraktion–uf-ll@stadt.freiburg.de / Webseite: www.fraktion-uf-ll.de

 

V.i.S.d.P  Martin Klauss, Freiburg