»Wir brauchen eine neue Form der Militanz«

Das »revolutionäre Subjekt« im Mittelpunkt. Feminismus und Ökologie kamen zu kurz. Gespräch mit Michael Ramminger

Interview: Peter Wolter

Der katholische Theologe Michael Ramminger arbeitet am Institut für Theologie und Politik in Münster. Er ist politisch aktiv in der Interventionstischen Linken

Bei der »Sozialismuskonferenz« am Samstag in Münster ging es u. a. um einen »Gegenentwurf zur herrschenden Weltordnung«. Können Sie uns als katholischer Theologe eine Empfehlung dazu geben?

Auch in der katholischen Kirche gibt es keinen fertigen Gegenentwurf – wohl aber eine konkrete Utopie, das Reich Gottes. Das zeichnet sich dadurch aus, daß es weder Unterdrückung noch Ausbeutung noch Gewalt gibt und daß die Völker friedlich zusammenleben.

Also das, was hartgesottene Linke unter Kommunismus verstehen?

Es gibt sogar katholische Theologen, die unter Paradies den Kommunismus verstehen.

Sie befassen sich in Ihrer politischen Arbeit vorwiegend mit den Verhältnissen in Mittel- und Südamerika. Dort hat sich in den vergangenen Jahren politisch einiges verändert – beeinflußt das nach Ihrer Einschätzung auch die Sozialismus-Diskussion in Europa?

Spannend sind zur Zeit vor allem die Entwicklungen in Ecuador und Bolivien. Dort gibt es völlig neue Konzepte, die man mit dem Begriff »buen vivir« – also »gutes Leben« –umschreiben kann. Diese Konzepte haben ihren Ursprung in der indianischen Kultur. Ich meine nicht, daß wir sie für uns übernehmen sollten – aber sie könnten einen Denkanstoß, eine strategische Orientierung geben und den Blick dafür öffnen, wie wir zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft kommen. Und die können wir ja sozialistisch, kommunistisch etikettieren. Oder wie auch immer.

Könnte die revolutionäre Entwicklung in Nordafrika der Sozialismus-Diskussion hierzulande neue Denkanstöße bieten?

Dazu kann ich im Moment noch wenig sagen, das hat uns ja alle überrascht. Interessant finde ich jedenfalls, daß es eher westliche, also nicht ausdrücklich islamistische Bewegungen sind, die in Tunesien, im Jemen oder in Euroypten auf die Straße gehen. Wir müssen abwarten, wie sich das entwickelt.

Durch die Diskussionen der »Sozialismuskonferenz« zog sich wie ein roter Faden der Begriff des »revolutionären Subjekts«. Früher verstand man darunter eher den Industriearbeiter im Blaumann – wie würden Sie diesen Begriff interpretieren?

Das »eine« revolutionäre Subjekt gibt es zur Zeit nicht, kann es auch nicht geben – der Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts ist postfordistisch geworden. Es sind ganz neue Formen von Arbeit entstanden, das Verhältnis von Produktions- und Reproduktionsarbeit hat sich verändert, die gesellschaftlichen Widersprüche sind heterogener geworden.

Die Klassenanalysen früherer Zeiten sind heute also eher obsolet?

Natürlich ist es so, daß wir heute extreme Klassenkämpfe haben. Aber politisch halte ich es für überflüssig, vom »revolutionärem Subjekt« zu reden – die in der Diskussion vorgebrachten Pro-Argumente haben mich jedenfalls in keiner Weise überzeugt.

In der Diskussion klang auch an, daß die politischen Aktionsformen weitgehend noch immer die der 80er Jahre sind: Flugblatt, Resolution, Demo, Unterschriftensammlung, hin und wieder ein Streik. Müßten nicht heute andere Formen des politischen Kampfes entwickelt werden?

Diese Aktionsformen sind heute in der Tat vielfach überholt. Die Erfahrungen der letzten Jahre – nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, Griechenland und anderen Staaten – haben gezeigt, daß wir zu einer neuen Form der Militanz kommen müssen. Die Erfahrungen, die wir damit in Heiligendamm, Strasbourg, bei Antinaziprotesten in Dresden und Köln oder bei den Protesten in Stuttgart oder im Wendland gemacht haben, sind doch sehr ermutigend.

Demonstranten, die gelernt haben, daß sie die Staatgewalt unter Kontrolle halten konnten, daß sie ihr Schach bieten können, denken danach anders über Politik nach. Ich fand allerdings auch wichtig, was der ehemalige Betriebsrat, DKP-Ratsherr Michael Gerber aus Bottrop, in der Diskussion gesagt hat, nämlich daß wir für den politischen Streik kämpfen müssen.

Welche Erkenntnis nehmen Sie jetzt von dieser Diskussion mit nach Hause?

Ich bin sehr angenehm überrascht, daß so viele Leute da waren; das ist ja beim Thema »Sozialismus« nicht selbstverständlich. Meine inhaltliche Kritik: Ich finde, daß wir uns zu ausgiebig mit der Klassenfrage im traditionalistisch marxistisch-leninistischen Sinne beschäftigt haben. Wir haben zu wenig über Themen diskutiert wie Erwerbstätigkeit, Feminismus oder Ökologie. Diese Diskussion war aber auch erst der Anfang, sie wird ja am 12.Februar fortgesetzt. Und dann, glaube ich, werden diese Punkte auch Thema sein.

Aus Junge Welt vom 08.02.2011