San Salvador, 2. Februar 2012

Liebe Freundinnen und Freunde!

Unser Leben, mein Leben.

Gern teilen wir unser Leben mit Euch. Was hat uns in diesen Tagen bewegt? Zuerst einmal die geringe Anmeldung von Schülerinnen und Schülern für unsere Schule.

Was sind die Gründe? Wir arbeiten in drei kleinen Schulgebäuden, konnten von Anfang an nie einen großen Platz bekommen, mussten mehrere kleine Gebäude nutzen. Der Kampf der Jugendbanden geht um Drogen und Geld, indirekt um Territorien. Die Schulkinder müssen "feindliche" Gebiete durchqueren, um zur Schule zu kommen. Die Eltern werden bedroht, wenn sie sich nicht an das Verbot halten. Der zweite Grund hat auch mit den Jugendbanden zu tun. Unsere Schülerinnen und Schüler kommen aus den ärmsten Familien genau wie die Jugendlichen, die bei der "Mara" sind. Wenn wieder ein ehemaliger Schüler tot auf der Straße aufgefunden wird, sagen die Leute: Siehst Du: Das ist einer, der in der Schule des Paters war.

Aber diese Schule ist der einzige Ort im Viertel, wo diese Schülerinnen und Schüler ertragen werden und wo es auch oft genug geschieht, dass arme Kinder nicht in die Jugendbanden eintreten, obwohl sie zur entsprechenden sozialen Schicht gehören. Das Zuhören, der freundliche Umgang, das Spielen, die Ausflüge, die freundschaftliche Beziehung zu den Lehrerinnen und Lehrern wirkt wie eine Therapie. Aber nicht in allen Fällen! Diese Einzelfälle reichen aus, um die Eltern dazu zu bringen, ihre Kinder nicht bei uns anzumelden. Der dritte Grund ist unsere alternative Pädagogik. Das ewige Abschreiben und Wiederholen wird durch Aktivitäten ersetzt, die das Nachdenken, Verstehen und das Selbstwertgefühl befördern. Da sind viele Eltern nicht einverstanden. Das neue Erziehungsministerium hat einen anderen Plan vorgelegt. Einige unserer ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer und andere Experten haben bei der Lektüre gesagt: Das ist die 22. Sie meinen damit unsere Schule. Was wir gemeinsam haben, ist die Überzeugung, dass Lernen nicht nur in Klassenräumen stattfindet. Auch wird wie bei uns das Kind als Akteur im Lernprozess wahrgenommen. Vor wenigen Tagen ist der Viceminister, der diesen neuen Plan formuliert hat, zurückgetreten. Wie eine ganze Reihe weiterer Regierungsmitglieder. Alle weigern sich, ihre Motive bekannt zu geben. Es wird wohl sehr viel Druck gemacht worden sein. Von wem der kommt, kann man vermuten. Zwei Ministerien wurden neu von Militärs besetzt entgegen den Richtlinien der Friedensverträge.

Wir haben also während der letzten zwei Wochen sozusagen auf die Anmeldeliste gestarrt. Nun haben wir jedoch die gewöhnliche Klassenstärke für Vorschule und erstes Schuljahr sowie für fünftes und sechstes erreicht, das zweite Schuljahr hat 10 Schülerinnen und Schüler, drittes und viertes haben wir zusammengelegt.

Während wir auf die Anmeldelisten starrten, kam jemand auf einen neuen Gedanken. Gegenüber der 22 de abril liegt seit einigen wenigen Jahren ein Armenviertel, das so aussieht, wie die 22 de abril vor vierzig. Es ist eine Ansammlung von Hütten aus Plastik und Lehm. Wir haben den Vorstand gebeten, uns mit ihm zu treffen und ihm das Angebot zu machen, eine Vorschulklasse und ein erstes Schuljahr einzurichten. Das wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. Nach Aussage des Vorstands gibt es dort viele Familien, die Kinder in diesem Alter haben. Der Grund ist derselbe. Den Eltern ist es zu riskant, ihre Kinder aus den Augen zu verlieren. Wenn sie sichtbar in der Nähe sind, fühlen sie sich sicherer und ruhiger. Dort, wo Carolina und ich den Vorstand trafen, waren wir schon bekannt. Die "Schule unter Freiem Himmel" hatte dort mehrere Monate gearbeitet und vor allem unsere junge Lehrerin Ivania hatte im Viertel eine gute Beziehung zu Erwachsenen und Kindern entwickelt. Sie werden wir fragen, ob sie dort arbeiten möchte, zusammen mit einer anderen Lehrerin natürlich, wenn sich zwei Schulklassen füllen sollten.

Wenn wir nun bald wieder die Auferstehung feiern, meditieren und bedenken, hoffentlich auch praktizieren werden, wird uns diese unsere widersprüchliche Wirklichkeit präsent sein. Aufstehen, Widerstehen, Auferstehen gehören zusammen, sagte einmal die lateinamerikanische Befreiungstheologie: In den siebziger Jahren. In anderen Situationen zwar schöpfen wir aber immer noch aus dieser Quelle.

Freundliche Grüße an Euch alle! jerry