Die Selbstbestimmung beginnt beim Essen - ein Zwischenruf aus Uruguay

Unsere Länder im Süden Amerikas sollen sich modernisieren. Im öffentlichen Diskurs heißt es jetzt, man solle Schulden gutheißen, ausländische Investitionen anlocken und sich öffnen für die Welt und den Weltmarkt. Das ist nichts wirklich Neues. Lateinamerika ist von Europäern einst - vor fünf Jahrhunderten - dafür geschaffen worden dem Weltmarkt zu dienen, als dieser noch nicht so hieß. Die traurige Jahrhunderte alte Geschichte begann mit den Gold- und Silberfunden und setzte sich fort mit dem Zucker, dem Tabak, der Guano, dem Salpeter, dem Kupfer, dem Zinn, dem Kautschuk, dem Kakao, der Banane, dem Kaffee, dem Erdöl. Was hat uns dieser prächtige Handel gebracht? Er hat uns um unser Erbe und unsere Sehnsucht gebracht und hat uns stattdessen in Wüsten verwandelte Gärten hinterlassen, verlassene Felder, durchlöcherte Berge, verseuchte Gewässer und lange Karawanen unglücklicher Menschen, zu einem frühen Tod verdammt.

Jetzt geht es um die genmanipulierte Sojabohne. Und noch einmal wiederholt sich die Geschichte der rasch verfliegenden Siege, die uns bereits im Tonfall der Fanfaren lang andauerndes Elend verkündigen. Ist die Vergangenheit stumm? Wir weigern uns, auf die Stimmen zu hören, die uns warnen: die Träume des Weltmarkts sind der Alpträume der Länder, die sich seinen Launen unterwerfen müssen. Wir klatschen noch immer Beifall, wenn die Naturgüter vernichtet werden, die Gott - oder der Teufel? - uns gegeben hat. So arbeiten wir unverdrossen weiter an unserem Verderben und tragen weiter zur Vernichtung der wenigen Natur bei, die es auf dieser Welt noch gibt.

Die riesigen Flächen, die für die Produktion von Gen-Soja "gewonnen" werden, vernichten die einheimischen Wälder oder vertreiben die armen Bauern von ihren Feldern. Nur wenige Arbeiter werden auf diesen hoch mechanisierten Pflanzungen gebraucht. Gleichzeitig vernichten sie mit ihrer großflächigen Schädlingsbekämpfung die kleinen Pflanzungen und Gärten der Bauernfamilien. Die Abwanderung in die großen Städte nimmt zu und es wird stillschweigend angenommen, dass die Vertriebenen dort die Nahrungsmittel konsumieren können, die sie vorher produziert haben. Das Ganze nennt sich "reformierte Landwirtschaft" und ist das Gegenteil einer guten Agrarreform!

Argentinien, Brasilien und andere lateinamerikanische Länder sind derzeit vom Fieber der gentechnisch veränderten Sojabohne erfasst. Verführerische Preise und erhöhte Produktivität werden versprochen. Das bringt vielleicht heute etwas Brot, aber mit Sicherheit den Hunger von morgen - wie Bauerngewerkschaften und Umweltorganisationen zurecht warnen.

Felder, die einst eine große Vielfalt von Produkten für den lokalen Markt produzierten, sind inzwischen nur noch Produkten für den Export gewidmet. Die Monokultur ist eine Gefängnis. Das war sie schon immer, aber jetzt mit den gentechnisch veränderten Organismen ist sie es noch viel mehr. Die Unabhängigkeit unseres Landes reduziert sich auf die Nationalhymne und Fahne, wenn sie nicht auf der Grundlage der Ernährungssouveränität steht. Die Selbstbestimmung beginnt beim Essen. Nur die Produktionsvielfalt kann uns vor den plötzlichen Preisstürzen schützen, die zur Normalität, ja zur tödlichen Normalität des Weltmarktes gehören.

Die Verfechter der Genmanipulation behaupten, die Schädlichkeit für die menschliche Gesundheit sei nicht bewiesen. Allerdings ist auch nicht erwiesen, dass sie unschädlich ist. Tatsache ist jedenfalls, dass diese Erfindung aus dem Labor von Doktor Frankenstein sowohl die Gesundheit des Bodens als auch die Souveränität der Staaten beeinträchtigt. Wir werden auf Dauer gefangen in den Käfigen von Monsanto und anderen Großkonzernen bleiben, wenn wir uns weiter von ihrem Saatgut, ihren Herbiziden und ihren Pestiziden abhängig machen.

Eduardo Galeano, Uruguay, November 2006