Kreuz und Auferstehung

 

Pater Gerhard (Gerado) Pöter aus San Salvador/El Salvador

 

In diesem Jahr haben wir uns entschieden, ein neues pädagogisches Projekt zu beginnen. Wir nennen es „grado juvenil“: Schulklasse für Jugend. Mit ein bisschen Werbung wurden fünfzehn junge Leute gewonnen, die nie über das erste Schuljahr hinausgekommen sind, wenn sie denn überhaupt jemals irgendeine Schule von innen kennen gelernt haben. Zwei Lehrerinnen arbeiten dort bis zur Erschöpfung: Ana und Julia. Die Namen verraten nicht, dass es sich um eine erfahrene salvadorianische Lehrerin und eine engagierte deutsche Praktikantin handelt.

Ein Problem, das sich in unserer Schule immer aufdrängt, aber hier natürlich verstärkt, sind die Verhaltensstörungen, die Aggressivität einiger Kinder. Die Lehrerinnen halten sie lange aus. Ich ermutige sie zuweilen, den Eltern dieser Kinder nahe zu legen, diese nicht mehr zu schicken, um nicht die Arbeit mit den anderen unmöglich zu machen. Ana und Julia besuchen nachmittags jede Schülerin und jeden Schüler zu Hause. Zwei Beispiele: Drei Schwestern von Francisco sind Prostituierte. Er präsentiert sich als Homosexueller, wie eine seiner jüngeren Schwestern auch. Homosexueller sein in Holland oder hier in der Macho-Kultur von El Salvador sind natürlich zwei Paar Stiefel.

Das Haus von Ivette stinkt fürchterlich nach Urin. Sie hat elf Geschwister. Der Vater ist Alkoholiker, meist zu Hause, die Mutter arbeitet auf dem  Markt, kommt abends spät heim. Ivette ist nie zur Schule gegangen, weil sie immer auf alle ihre Brüder aufpassen musste. Sie ist die älteste und das einzige Mädchen. Andere Jugendliche kommen aus Drogenhändlerfamilien. Ihre Eltern verbringen lange Zeiten im Gefängnis.

Erstes Ziel unserer neuen Schulklasse ist ein zärtliches, respekt- und liebevolles Ambiente zu schaffen, auf keinen Fall aber, irgendwelche Lehrpläne gehorsam zu befolgen. Das ist sehr schwierig, weil einige Jungen ihre tiefen seelischen Wunden durch Aggressionen gegen andere zu heilen versuchen. Aber viele wollen lernen und sind mit einem riesigen Eifer bei der Sache, lassen sich nicht abbringen von ihrem Ziel, trotz vieler Hindernisse. Vor einigen Tagen sagten die Jugendlichen, sie möchten niemals in einer anderen Schule sein.

In den angesehenen christlichen Gymnasien rundherum wird viel von Kreuz und Auferstehung geredet. Schülerinnen und Schüler wissen auswendig, was das bedeutet. Uns wird vorgeworfen, dass unsere Schülerinnen und Schüler nicht einmal das Vaterunser aufsagen können. Aber Ana und Julia sind konsequente Zeuginnen von Kreuz und Auferstehung, auch wenn diese beiden Wörter in ihrer Jugendklasse noch nie gehört wurden und sie sich wohl auch nicht mit der Idee anfreunden würden, dass ihr Beruf „Predigerin“ sein könnte. Klar, Ana und Julia sind natürlich dabei, wenn es darum geht, gegen den Irakkrieg zu protestieren. Dass LehrerInnen, SchülerInnen und ihre Eltern in den feinen katholischen Gymnasien, wo das Vaterunser aufgesagt werden kann,  angesichts dieses Krieges sonderlich beunruhigt sind, davon haben wir bisher noch nichts bemerkt, obwohl nur das in dieser neoliberalen ICH-Zeit scheinbar antiquierte „UNSER“ im Vaterunser schon genug zu denken und zu handeln gäbe.