Wir brauchen Anstand

Bundespräsident Horst Köhler verpflichtet in seiner Weihnachtsbotschaft die Deutschen auf eine endogene Charaktereigenschaft

Von Otto Köhler

"Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn hundert Leichen beisammen liegen, wenn fünfhundert daliegen oder wenn tausend daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte."
Reichsinnenminister Heinrich Himmler am 4. Oktober 1943 vor SS-Führungsoffizieren in Poznan über den Anstand

"Die zwei Jahre bei der Bundeswehr haben mir viel für mein Leben mitgegeben." Horst Köhler schreitet die Ehrenformation der deutschen Streitkräfte ab (1.7.2004)

Welch ein Wandel, heute, dank unserer Banken Fügung: "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger", so sprach uns Horst Köhler vor vier Jahren noch an, "meine Frau und ich wünschen Ihnen frohe und gesegnete Weihnachten. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Wir haben uns sehr auf Weihnachten gefreut. Die Familie kommt zusammen, wir gehen in die Kirche, dann singen und essen wir gemeinsam, und die Kinder, längst erwachsen, sind immer noch gespannt auf die Bescherung. Zu bereden gibt es genug nach allem, was dieses Jahr gebracht hat."

So harmlos, so innig, so fröhlich begann die Amtszeit des Bundespräsidenten Horst Köhler.

Jetzt aber mahnt uns der Mann, der bis zu seinem Amtsantritt als oberster Deutscher der Chef des Internationalen Währungsfonds und damit mächtigster Bankmensch der Welt war, wir sollten uns, bittschön, nur keine Angst machen.

Fürchtet euch nicht

"Liebe Landsleute", schimpft er uns - patriotisch - heute, wünscht im schwarzen Anzug mit rotgoldener Krawatte noch sein übliches "frohes und gesegnetes Weihnachtsfest", natürlich "von Herzen". Aber dann geht's los: "Für jeden von uns, ob Christ oder nicht, sind die Bilder von Weihnachten einleuchtend: Ein Kind wird geboren, in einem Stall in einer Futterkrippe - und mit ihm kommt Licht in die Welt. Menschen in Sorge und Angst hören den Ruf: >Fürchtet euch nicht!< Dieses Fest und diese Botschaft brauchen wir - alle Jahre wieder. Denn auch in unserem Alltag ist vieles nicht heil."

Arm sind wir geboren, in einer Futterkrippe, in der nichts liegt, was für den menschlichen Verzehr bestimmt ist. Und dann sollen wir uns vor der Zukunft nicht fürchten, kein Unheil soll uns Angst machen. Das soll uns einleuchten. Damit wir nur nichts ändern wollen.

Er will ein "Band, das unsere Gesellschaft zusammenhält".

Und er verlangt: "Wir brauchen Anstand, Bescheidenheit und Maß."

Anstand.

1943, als Heinrich Himmler vor SS-Leuten in Polen seine Rede hielt, wurde Horst Köhler dort geboren. Seit 1953 in Freiheit lebend, ging er 1962 für zwei Jahre freiwillig zu den Panzergrenadieren der Bundeswehr, deren Reserveleutnant er danach blieb.

Von Anfang seiner zivilen Laufbahn sorgte sich der aufstrebende junge Mann um "Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt". So der Titel der Dissertation, mit der er sich 1977 an der einschlägigen Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen magna cum laude zum Doktor promovieren ließ. Aus den inzwischen reichlich freigesetzten Arbeitern sind längst noch verwertbare Hartz-IV-Menschen geworden, die für einen Euro - das ist der Fortschritt, über den er sich freut - alle nicht durch Technik ersetzbare Arbeit leisten.

Sprengstoff gegen Helmut Schmidt

Schon ein Jahr vor dieser zukunftsfähigen Promotion diente Horst Köhler seit 1976 dem Staatsmann Otto Graf Lambsdorff in der Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums. Dort fabrizierte sein unmittelbarer Chef Eduard Pietsch, ein im Krieg für Hitler zweimal verwundeter Panzerkamerad, den - wie Köhler gern einräumt - "Sprengstoff für die SPD/FDP-Koalition", nämlich das sogenannte "Lambsdorff-Papier". Das war die Bombe, mit der dieser Friedrich Flick innigst verbundene Minister die sozialliberale Koalition in die Luft gehen ließ. Köhler bestand noch bei seinem Amtsantritt als Bundespräsident energisch auf der Richtigkeit dieses Putschpapiers: "Vom Inhalt her war es aber eine notwendige und überfällige Kurskorrektur." Von der aus er gleich in die damalige Zukunft blickt: "Dies gilt auch für die >Agenda 2010<. Gerhard Schröder hat damit großen politischen Mut bewiesen."

Bevor die Bombe gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt hochging, war Köhler mal kurz mit Gerhard Stoltenberg in die Staatskanzlei nach Kiel gegangen. Nach der gelungenen neoliberalen Wende von 1982 kehrte er mit Stoltenberg als neuem Finanzminister nach Bonn zurück, wo er schließlich 1990 unter Nachfolger Theodor Waigel Finanzstaatsekretär wurde, zuständig für die Währungsunion und für die Plünderung der frisch angeschlossenen DDR durch die Treuhandanstalt. Dort erregte er das Entzücken der Liquidatorin Birgit Breuel: "Horst Köhler war unser bester Partner mit seinen klaren und mutigen Entscheidungen, ein leidenschaftlicher Einheitsverfechter."

Es waren wohl die Profitmöglichkeiten bei der Treuhand, die ihn auf die Idee brachten, daß ein Mann wie er sehr schnell sehr viel mehr verdienen müsse: 1993 wurde er Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. 1998 nahm er sich Osteuropa vor als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London. Und schließlich die ganze Welt als Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington.

Guido Westerwelle, der Mann mit der bedeutungsvollen 18 unter der Schuhsohle, überzeugte schließlich die der FDJ entflohene neoliberale Proselytin Angela Merkel, daß Horst Köhler der gemeinsame Mann für das höchste deutsche Staatsamt sein müsse.

Mit Filbingers Segen

Köhler wurde in der Bundesversammlung mit 604 Stimmen zum Bundespräsidenten gewählt. Das war eine Stimme mehr als die notwendige absolute Mehrheit. Doch er hat sich diese besondere Stimme redlich verdient. Diese Stimme war Horst Köhlers Salbung vor der unsterblichen deutschen Geschichte. Sie kam von Hans Filbinger, Hitlers so erfolgreichem Kriegsrichter. Köhler hat den durch und durch anständigen Mann zur Bundesversammlung voller Freude mit Handschlag begrüßt.

In seinem ersten Amtsjahr, 2004, stellte der neue Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache auch schon die Behauptung auf: "Unsere Soldatinnen und Soldaten haben unseren Dank und unsere Anerkennung verdient." Da hatte er gerade auf einer Bundeswehr-Fregatte am Horn von Afrika "unsere Soldatinnen und Soldaten" besucht.

Und da passierte es: "Ich habe sie von Ihnen allen" - das war nun wirklich ein grober Fall von Amtsanmaßung, er meinte uns alle - "gegrüßt und mich für ihren Einsatz bedankt."

Damals noch bedankte er sich immerhin auch bei "denen, die hier zu Hause an den Feiertagen arbeiten". Und er zählte gewissenhaft alle auf, die nicht feiern und tatsächlich unseren Dank verdienen: "Die einen kümmern sich um die Kranken oder retten Unfallopfer. Andere sorgen dafür, daß auch über Weihnachten der Alltag klappt. Für uns ist das alles oft selbstverständlich. Der Polizist, die Krankenschwester, der Busfahrer - gerade heute sollten wir an die denken, die für uns Dienst tun. Dankbarkeit haben auch alle verdient, die sich freiwillig und ehrenamtlich, zu Hause und in aller Welt für ihre Mitmenschen einsetzen."

Ein Jahr später, Weihnachten 2005, dankte er zuallererst denen, "die am heutigen Abend nicht im Kreise ihrer Lieben feiern, weil sie für ihre Mitmenschen da sind - im Krankenhaus, bei der Polizei, als Bus- und Bahnfahrer ...". Und da fügte er zuletzt in, die Mitmenschlichkeit ausschließende, disjunktiver Form ein eher auf einen Verteidigungsauftrag beschränktes Militär hinzu: "... oder als Soldaten, die fern der Heimat für Sicherheit und Freiheit sorgen".

Weihnachten 2006 verschwanden die zivilen Krankenpfleger, Polizisten, Bahn- und Busfahrer in einem allgemeinen Dasein für die Mitmenschen und die präsidiale Herzlichkeit fürs Militär trat als Besonderheit hervor. Köhler:

"Ich denke heute auch an die Frauen und Männer, die Weihnachten nicht mit ihren Lieben feiern können, weil sie auch an diesem Abend an den unterschiedlichsten Orten für ihre Mitmenschen im Einsatz sind. Mein herzlicher Weihnachtsgruß gilt besonders den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die sich fern der Heimat für unser aller Sicherheit und Freiheit einsetzen. Ihnen allen danke ich herzlich!"

Weihnachten 2007 lief es ähnlich. Sparsam und knapp:

"Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich möchte an diesem Abend allen danken, die an den Festtagen Dienst tun." Dann aber mit dem unerbetenen, ja peinlichen Possessivpronomen "unser" das Militär und was daneben gerade noch herlaufen darf: "Einen dankbaren Gruß aus der Heimat sende ich an unsere Soldatinnen und Soldaten, unsere Polizisten und unsere Entwicklungshelfer, die sich im Ausland für den Frieden in der Welt einsetzen."

Hier taucht erstmals in einer Bundespräsidentenweihnachtsansprache eine innovative, aber letztlich nicht weiterführende Redefigur auf. Köhler: "Meine Gedanken sind in dieser Stunde auch bei den Familien derer, die bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen sind." Diese Familien kennt der Bundespräsident jetzt in seiner Weihnachtsansprache 2008 nicht mehr - sie sind hinauskomplimentiert: es werden ganz einfach zu viele, sie könnten ihm, da sie ja leben, unangenehm werden. Und so heißt es heute ausschließlich (ohne Gefallenenfamilien, aber auch ohne die Polizisten, Krankenhausschwestern und Busfahrer des ersten Jahres): "Ich denke heute Abend auch an unsere Soldatinnen und Soldaten, die in der Ferne für Sicherheit und Wiederaufbau sorgen. Sie dienen dem Frieden, unter Einsatz von Leib und Leben. Dafür wollen wir ihnen danken."

Mit scharfem Schwert

Von Hitlers erfolgreichem Kriegsrichter gesalbt: die CDU-Mitglieder Hans Filbinger (l.) und Horst Köhler vor Beginn der Bundesversammlung (Reichstagsgebäude, 23.5.2004)

Ganz nebenbei: Leib und Leben der afghanischen Frauen und Kinder, die von unseren Soldatinnen und Soldaten umgebracht wurden, haben unseren Bundespräsidenten selbstverständlich nicht zu interessieren. Er ist eben vorrangig immer noch der Leutnant der Reserve, der er schon vor vier Jahrzehnten war. Und nicht umsonst hat er in seinem Jubiläumsvortrag zum fünfzigjährigen Bestehen der Führungsakademie der Bundeswehr mit einem Zitat von Clausewitz eindringlich davor gewarnt, das eigene Schwert "nach und nach aus Menschlichkeit stumpfer" zu machen. Vor allem in einem Umfeld, wo "der Gegner nur schwer auszumachen ist und die Zivilbevölkerung als Deckung benutzt". Da kann jeder, der mit der Maschinenpistole schnell mal auf verdächtige Frauen und Kinder hält, mit präsidialem Verständnis rechnen.

Denn er wird nie vergessen, was er 2005 bei der 40. Kommandeurtagung der Bundeswehr verkündigte: "Die zwei Jahre bei der Bundeswehr haben mir viel für mein Leben mitgegeben. Ich habe also auch einen ganz persönlichen Grund, der Bundeswehr dankbar zu sein."

Aber sein Volk? Der Reserveleutnant und Bundespräsident grollt ihm - hoffentlich nicht zu Unrecht - wegen mangelnder Aggressionslust: "Die Bundeswehr hat mit ihren Auslandseinsätzen in kurzer Zeit eine sehr weite Strecke zurückgelegt: aber ist das öffentliche Bewußtsein hinterhergekommen?" Er hat da seine Zweifel. "Der Deutsche Bundestag stimmt mehr als vierzigmal dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland zu: aber die Deutschen wirken von all dem kaum berührt oder gar beeindruckt."

Gewiß, er sagt seinem Volk nach: "Die Deutschen vertrauen der Bundeswehr", aber das sei zu wenig: "ein wirkliches Interesse an ihr oder gar Stolz auf sie sind eher selten."

Pfui Teufel, sagt er nicht. Aber wir dürfen sicher sein: Er denkt sich seinen Teil über uns. Laut tadelte er nur unser "freundliches Desinteresse" an den Feldzügen der Bundeswehr in aller Welt.

Irgendwo hat er recht, ohne es zu wollen: Es ist Zeit, daß wir als "friedliebendes Volk" - wie er uns benörgelt - endlich ein unfreundliches Interesse an dieser Bundeswehr nehmen, die mit ihren kriegerischen Eskapaden fern der Heimat den Terror in unser Land lockt, damit sie endlich auch in unserm Inneren tätig werden kann.

Des Bundespräsidenten Unbehagen an uns hält - drei Jahre später - an. Gewiß, er konnte sich vor vier Wochen erst einmal herzlich freuen: bei "Impulse 21", einem gemeinsam - auch sehr innovativ für die umfassende Pressefreiheit in diesem Land - vom Tagesspiegel und dem Verteidigungsministerium veranstalteten "Sicherheitspolitischen Forum". Der Bundespräsident erbaute sich in seiner Eröffnungsrede über den famosen Einstieg der Bundeswehr in den Krieg: "Die Neuorientierung der Bundeswehr von der Territorialverteidigung zur Armee im Einsatz war notwendig und ist insgesamt gelungen."

Tote Soldaten ehren

Doch wir, wir geben ihm immer noch Grund zum Tadel: "Aber die Deutschen halten diese Transformation ganz gern vor sich selbst geheim." Er meint die Transformation von der Verteidigungs- zur Angriffsarmee.

Darum brauchen wir "Aufmerksamkeit, Solidarität und Dankbarkeit für unsere Soldatinnen und Soldaten". Und: "wir sollten die in Ehren halten, die im Kampf gegen Terror und Gewalt fallen und die ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen für die Gemeinschaft der Deutschen." Die so etwas nie geordert hat, aber trotzdem für die Hindukuschabenteurer und -Innen zahlen soll.

Das ist das Problem, mit dem der Bundespräsident zu kämpfen hat: "Tatsächlich geben wir heute real sehr viel weniger Geld für unsere Sicherheit und Verteidigung aus als vor 1989."

Das Geld. Wie gut, daß es da die NATO gibt. Köhler ist überzeugt: "Die internationale Finanzkrise zeigt einmal mehr, daß eine Lösung der globalen Menschheitsaufgaben nur im Rahmen einer kooperativen Weltordnung möglich ist. Dies ist auch eine große Chance. Ich bin überzeugt, daß der NATO hier eine wichtige Rolle zukommen kann."

Wie soll das geschehen? Fürchtet euch nicht. Der Kulturmensch Köhler: "Gegebenenfalls muß die NATO die dafür notwendige Kultur von gegenseitigem Zuhören und von dem Willen zur Kooperation noch weiter entwickeln."

Noch weiter. Die NATO mit ihren Soldatinnen und Soldaten soll irgendwie die Weltfinanzkrise lösen. Aber kulturvoll.

Doch das verriet der Bundespräsident nur dem Tagesspiegel-Militärforum vor einem Monat. Jetzt in der Weihnachtsansprache macht er es friedlicher: "Sorgen macht uns allen die weltweite Finanzkrise mit ihren Folgen. Unvorstellbar viel Geld ist verspielt worden. Viele haben Angst um ihr Erspartes. Und viele fürchten um ihren Arbeitsplatz."

Aber fürchtet euch nicht: Der Staat hat "entschlossen" gehandelt, "um die Betriebe zu schützen und um Arbeit und Einkommen der Menschen zu sichern".

Unser Bundespräsident hat zur Weihnachtsbescherung "Zuversicht, daß wir die Herausforderung meistern werden".

Jetzt Reformen genießen

Ja, der Weihnachtsmann mit der schwarzrotgoldenen Standarte auf dem Tisch hat "Zuversicht, weil ich weiß: Wir haben ein gutes Fundament." Denn: "Die Reformen der vergangenen Jahre" - Hartz IV samt Enteignung von Altersvorsorge und Ersparnissen - "und die neue Bereitschaft zum Miteinander in den Betrieben" - die Manager kassieren Abermillionen Boni, weil sie die kostenfressenden Arbeiter auf die Straße setzen - "haben uns gestärkt für die Aufgaben, die vor uns liegen." So ist er "froh über den Ideenreichtum, die Tatkraft und die Gelassenheit, die ich überall im Lande erlebe. Wir sind gewappnet durch die vielen tüchtigen Menschen, die unsere Gemeinschaft tragen: gut ausgebildete, motivierte Arbeitnehmer, ideenreiche, mutige Unternehmer und Millionen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die gestalten und anpacken und füreinander einstehen."

Damit - das müssen wir ihm glauben - will er "uns allen Mut machen".

Den Dank an die Banker, die unser Geld veruntreut haben, unterschlug der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache. So wie die durch ihre Tatkraft gerade mal eine Billion verschwinden ließen - "1000 Milliarden Dollar sind dahin - Banken haben nahezu eine Billion abgeschrieben", notierte soeben (17.12.2008) die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland eher am Rande.

Seinen Dank an die Banker hatte der Bundespräsident einen Monat zuvor ausgesprochen als er denen, die er fürs gemeine Volk schon mal "Monster" nannte, seine Aufwartung machte.

Von Abs zu Ackermann haben sie ihr Salär vom 40fachen zum 400fachen eines Durchschnittgehalts hochgeschraubt. Und der Vertrauensmann des Kapitals an der Commerzbankuniversität Chemnitz, Professor Friedrich Thießen, hat die zu Hartz IV geschrumpfte Arbeitslosenversicherung schon mal auf 132 Euro heruntergerechnet.

Ungleichheit ist Freiheit

Da fragte schon vor einem Jahr - am 29. Dezember 2007 - die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland den Bundespräsidenten: "Angesichts der auseinandergehenden Einkommens- und Vermögensentwicklung wird schon von einer Legitimationskrise der Marktwirtschaft gesprochen. Sehen Sie das auch so?"

Sah er nicht. Horst Köhler: "Ungleichheit gehört zur Freiheit, zur menschlichen Natur und zu jeder offenen Gesellschaft. Sie ist eine dynamische Kraft."

Und war sofort bei der Sache: "Die Gesellschaft wird nicht durch Nivellierung der Einkommen, sondern durch Chancengerechtigkeit zusammengehalten."

Ja und gewiß auch "durch die Einsicht der oberen Einkommensschichten, sich als Teil der Gesellschaft insgesamt zu verstehen". Deshalb erwarte er von ihnen "Einfühlungsvermögen und Führen durch Vorbild". Und warnte vor den "Risiken" eines Mindestlohns. Natürlich aus echt sozialen Gründen: "denn ein Mindestlohn, der von den Arbeitgebern im Wettbewerb nicht gezahlt werden kann, vernichtet Arbeitsplätze".

Das weiß er noch von seiner Doktorarbeit in Tübingen. Und er weiß auch, daß verunsicherte Menschen zur Räson gebracht werden müssen, zur Einsicht ins Unvermeidbare.

Das war der Kern seiner großen Rede "Finanzmärkte im Dienst der Menschheit", die er am 21. November zur Eröffnung des "European Banking Congress 2008" hielt.

"Stellen Sie sich dem Gespräch mit Ihren Kunden, die verunsichert sind", mahnte er. "Bemühen Sie sich um diejenigen, die durch die Krise Verluste erlitten haben. Seien Sie ehrlich, wenn bei der Beratung Fehler gemacht wurden." Und nachdenken sollten sie auch, unsere Bankiers, darüber, "Härtefälle aufzufangen". Es könne nicht "im Interesse des Bankgewerbes sein, wenn die private Altersvorsorge in Verruf gerät".

Das war sehr lieb von unserem Präsidenten und wird ganz bestimmt Früchte tragen. Denn er vergaß auch die Mahnung an die Banker nicht: "Ihre wichtigste Aufgabe besteht jetzt darin, Vertrauen zurückzugewinnen. Das ist Ihre Arbeit."

In seiner Weihnachtsansprache aber an uns alle bemühte der Bundespräsident nicht - und das verdient Respekt - jenes bekannte Boot, in dem wir alle sitzen. Das ist leider in der "Finanzkrise" unrettbar abgesoffen. Retten konnten sich diejenigen, die schnell genug die eigene Luxusyacht erreichten, die sie nicht mit anderen teilen müssen.

Nein, Köhler fordert von uns Bescheidenheit, Maß, Glaubwürdigkeit und zuallererst jenen Anstand, den wir schon kennen. Das alles bringe das unentbehrliche "Vertrauen" in unsere Oberschicht zurück. Dies aber ist das Band, das unsere Gesellschaft zusammenhält.

"Liebe Landsleute", fleht der Bundespräsident, "lassen Sie uns dieses Band gemeinsam stärken."

Der denkt, er kann alles mit uns machen.