»Und wenn sie euch sagen, ich bin tot, glaubt ihnen nicht.«

Heinz Röhr, religiöser Sozialist und Quäker, zum Tode von Dorothee Sölle

Dorothee Sölle hat uns verlassen. Sie hat am Sonntagmorgen in Göppingen – in einem tieferen Sinn – »das Zeitliche gesegnet«. Sie war ein Segen, und sie konnte segnen: »God bless you. She surely will«: das war eines ihrer Lieblingsworte, das sie oft gebrauchte.

Man wird in den Nach-Rufen jetzt viel lesen von der »Ikone des politischen Protestantismus«, von der Pazifistin, der Befreiungstheologin, der Feministin usw. Vor allem aber war sie Mystikerin und Dichterin. Ein Glaube, der sich in Singen, Tanzen und Springen ausdrückt, war ihr wichtiger als alle Dogmatik, dies, obwohl sie das Handwerk der Systematischen Theologie glänzend beherrschte. Das zeigen ihre wichtigsten Werke: »Leiden«, »Gott denken«, »Lieben und arbeiten«. »Hör nicht auf, mich zu träumen, Gott«, so konnte sie beten. Traum, Vision von einer schwesterlichen Erde, einer erotischen Friedenskultur!

Und der Sozialismus? Sie nannte sich »christliche Sozialistin«, Marxistin wollte sie sich nicht nennen lassen! Gleichwohl, stand eine Tatsache für sie fest: »...daß ich Sozialistin bin. Das hatte sich schon lange vorbereitet, und natürlich war der große Karl aus Trier nicht unschuldig daran« (»Gegenwind«, S.84).

Mit zunehmendem Alter wurde ihre Sprache »frömmer«: »Mein Leben ist also das einer theologischen Arbeiterin, die etwas vom Schmerz Gottes und von Gottes Freude mitzuteilen versucht« (»Gegenwind«, S.310). Am Sterbebett ihrer Mutter sang sie »Befiehl du deine Wege« und »So nimm denn meine Hände.« Sie liebte Bach. Aber sie stimmte zu, als man 1946 bei der Matthäus-Passion den ungeheuerlichen Satz »Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder« wegließ. Was »vor« Auschwitz ging, war »danach« unmöglich geworden.

Gedichte nach Auschwitz, Theologie nach Auschwitz – war das möglich? Gott ist nicht in Auschwitz gestorben. Wir haben ihn nur allein gelassen. Auferstehung angesichts von Auschwitz? Juden gingen mit dem Lied »mer läbn ewig« (»Wir leben ewig«) ins Gas: das hat Dorothee Sölle bis zuletzt erschüttert. Von dieser Erschütterung lebte ihre Theologie.

Dorothee Sölle hat das Quäkertum sehr geschätzt. Es gibt kaum ein Buch von ihr, in dem sie nicht wenigstens einmal den Quäkersatz »das von Gott« (in jedem Menschen) zitiert (in »Mystik und Widerstand« allein viermal). In diesem Buch stellt sie auch das Leben und Handeln von George Fox, seiner Frau Margaret Fell und John Woolman (neben anderen) als Beispiele für »demokratisierte Mystik« dar. Dieses magnum opus (Hauptwerk) schließt mit der Quäker-Formel:

»grenzenlos glücklich,
absolut furchtlos,
immer in Schwierigkeiten.«

Dorothee Sölle erwähnt öfter den Brauch aus Lateinamerika, dass beim Aufruf der Märtyrer (z.B. Romero) die Gemeinde antwortet: »Presente!« (»Anwesend!«)
Gott hat Dorothee gerufen. – »Presente!«