Die Tafeln - Essen, wo es hingehört ?

Die Tafeln sind ein Erfolgsmodell: Seit ihren Anfängen in den Neunziger Jahren ist die Tafelbewegung - zeitgleich mit der zunehmenden Armut im Land - zu einer der größten Bürgerbewegung in Deutschland geworden. Über 850 lokale Vereine gibt es inzwischen.

Eine der jüngsten ist die Edenkobener Tafel. Stolz vermeldet das Mitteilungsblatt der Verbandsgemeinde Edenkoben: "Am Freitag, 26. März 2010 beginnt die neue Edenkobener Tafel von 13 bis 17 Uhr mit der Ausgabe von Lebensmittel an Hilfsbedürftige der Verbandsgemeinden Edenkoben und Maikammer (...) Die kostenlose Abgabe von Lebensmittel soll vor allem HartzIV-Empfängern, Alleinerziehenden mit geringem Einkommen, Rentnern mit Niedrigrente, Arbeitnehmer mit Niedriglohn und deren Familien zu gute kommen (...) Um eine Ausgabeberechtigung zu erhalten, muss am Ausgabetag im Tafellokal ein Antrag gestellt werden. Dabei sind vorzulegen Hartz IV-Bescheid, Rentenbescheid Einkommensnachweise, Mietbescheinigung sowie Meldebescheinigung und Personalausweis (...) Die vorhandenen Lebensmittel werden gegen einen Unkostenbeitrag von zwei Euro pro Abgabe verteilt. Dabei besteht kein Rechtsanspruch auf Erhalt und eine Auswahl ist nur bei Unverträglichkeit möglich (...) Eingesammelt werden die Lebensmittel in den Großmärkten auf dem Gebiet der beiden Verbandsgemeinden, in Bäckereien, Metzgereien und Landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben (...) Da Tafeln durch ehrenamtliche Helfer betrieben werden und ihre gesamten Kosten, wie Miete, Ver- und Entsorgungskosten, Fahrzeugunterhalt und deren Betreiben durch Spenden und Mitgliedsbeiträge decken müssen, sind finanzielle Spenden herzlich willkommen."

Die Mitteilung benennt die wichtigsten Punkte der bundesweiten Organisation: Was Großmärkte, Supermärkte und landwirtschaftliche Erzeugerbetrieben abgeben, weil es ihre Kunden nicht oder nicht mehr kaufen möchten, geht als Spende an die Tafeln. Diese geben die Waren kostenlos oder gegen einen geringen Pauschalbetrag an ihre Kundschaft weiter. Um in den Genuss der übrig gebliebenen Lebensmittel zu kommen, müssen sich die Empfänger registrieren lassen. Dabei entsteht kein Rechtsanspruch. Die Arbeit machen anfangs Ehrenamtliche, später, wenn sich die Arbeit nicht mehr mit Ehrenamtlichen allein bewältigen lässt, Ein-Euro-Jobber, vermittelt von der Arbeitsargentur, unter Androhung einer Kürzung von Hartz IV. Die Kosten für die Abholung der Waren, Entsorgung der verdorbenen Waren sowie Fahrzeugunterhalt und Miete müssen von den örtlichen Vereinen bezahlt werden, weshalb diese zu Geldspenden aufrufen.

Zu den Geldspendern gehören in Edenkoben u.a. VR-Bank, Sparkasse, Lions-Club, Rotary-Club und Pfalzwerke Ludwigshafen, bundesweit u.a. Daimler, Aldi, Lidl und Rewe. Der Metro-Konzern sponsert die Arbeit des Verbandes mit einer sechsstelligen Summe, Daimler hat den Tafeln bundesweit bereits über 280 Fahrzeuge gespendet, unter dem PR-Motto "Tue Gutes und rede davon!". Spenden können von den Steuern abgezogen werden und haben - neben dem PR-Wert - im Gegensatz zu Steuern für den Spender den Vorteil, dass der Spender bestimmt, für welchen Zweck sie ausgegeben werden.

Für die Großmärkte, Supermärkte und Landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, die die Tafeln in Form von Lebensmittelspenden unterstützen, ist die Sache neben dem PR-Gewinn auch ökonomisch ein gutes Geschäft: zum einen lassen sich auf diesem Weg Kosten für die Entsorgung der Lebensmittel sparen und zum anderen lässt sich so sogar noch aus unverkäuflicher Ware Gewinn ziehen: wer zehn Paletten Äpfel liefert, bekommt eine Spendenquittung über den Wert von zehn Paletten Äpfel, egal wie viele davon überhaupt noch genießbar sind.

"Tafel" nennen darf sich nur, wer Mitglied im "Bundesverband Deutsche Tafel e.V." ist. Der Bundesverband macht kein Geheimnis daraus, dass er eng mit der US-amerikanischen Unternehmensberatung McKinsey zusammenarbeitet, von der sich auch die Bundesregierung beraten lässt.

Besonders stolz ist der Verband auf Dr. Vera Schäfer, eine Mitarbeiterin von McKinsey, die von McKinsey für ihre ehrenamtliche Arbeit beim Bundesverband freigestellt ist. Der von ihr verfasste Leitfaden zur Gründung und zum Management von "Tafeln" gehört zur Standardausstattung einer jeden deutschen Tafel.

Zu den Zielsetzungen von McKinsey gehört das Ziel staatliche Aktivität im sozialen Bereich so weit wie möglich zu reduzieren. Für das Überleben der Armen sollen Privatpersonen und freie soziale Organisationen sorgen, z.B. Tafeln. Auf die so verteilten Almosen haben die Armen - im Gegensatz zu staatlicher Fürsorge - keinerlei Rechtsanspruch.

Direkte staatliche Gelder fließen nicht, allerdings hilft der Staat - wiederum ohne demokratische Kontrolle - sehr wohl: rund 3.200 Ein-Euro-Jobber arbeiten inzwischen bundesweit für die Tafeln. Dazu kommen etliche Zivildienstleistende, sowie Eingliederungszuschüsse für Langzeitarbeitslose, die bei den Tafeln ihren neuen Job gefunden haben.

Mittlerweile sind ein Großteil aller Hartz-IV-Empfänger bei den Tafeln namentlich erfasst. Damit ist die Voraussetzung geschaffen für den nächsten von McKinsey vorgeschlagenen Schritt: den Hartz-IV-Empfängern, die bei den Tafeln verpflegt werden oder verpflegt werden könnten, die Verpflegungspauschale zu kürzen. Arme werden so zunehmend gezwungen sich von Lebensmittel zu ernähren, die in anderen Kontexten (Stichwort "Gammelfleisch") als Betrug skandalisiert werden. Die Würde des Menschen wird antastbar.

Gaben der Tafeln sind Almosen und damit ein Rückschritt in die Armenversorgung des frühen Mittelalters. Als solche werden sie von den NutzerInnen auch begriffen. Dies führt zu untertänigem Verhalten, Disziplinierung und dem realem Bewusstsein ein Almosenempfänger zu sein.

Politiker und Sozialverbände loben die Tafeln als unbürokratische Hilfe für die Armen und sorgen so dafür, dass sie akzeptierter Teil unserer Gesellschaft werden. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder unterstützt die Initiative als Schirmherrin, ebenso wie ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen. Etliche GründerInnen und Vorsitzende von örtlichen Tafeln sind inzwischen im Besitz eines Bundesverdienstkreuzes. Fragen nach den Ursachen von Armut in einem der reichsten Land der Erde werden auch von den Sozialverbänden nicht (mehr) gestellt.

Auch die Kirchen sind voll des Lobes und sehen ihre Chance gekommen auf den Spuren von Wichern und Goßner wieder mehr gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Fast zeitgleich zum Kommunistischen Manifest veröffentlichte Wichern 1848 eine Denkschrift, die Grundlage der "Inneren Mission" wurde. Wicherns und Goßners Antwort auf die damalige Armut: eine Praxis der barmherzigen Liebe, die sich den Armen zuwendet. Barmherzigkeit statt Gerechtigkeit.

Horst Köhler, inzwischen Ex-Bundespräsident, findet dafür viel lobende Worte. In seiner Antrittsrede vor dem Deutschen Bundestag am 1. Juli 2004 erklärt er: "Auch im sozialen Bereich brauchen wir noch mehr Ideen. Ideen wie die Berliner Stadtmission. Diese hat vor fünf Jahren gemeinsam mit privaten Spendern und Firmen das 'Zentrum Lehrter Straße' gegründet (…) Ohne auf den Staat zu warten, haben sich hier Bürger zusammengeschlossen, um anderen Bürgern in Not tatkräftig zu helfen, waren mutig, kreativ und risikobereit. Sie haben nicht gewartet. Solche Beispiele gibt es noch mehr in Deutschland und wir brauchen auch noch mehr."

Gerne zitiert die Berliner Stadtmission diese Worte in ihrem EKD-weiten Spendenaufruf "Gute Saat für Berlin", wo es darum geht das Zentrum Lehrter Straße zu erweitern. "Ziel ist, eine geistliche und soziale Anlaufstelle im Herzen der Hauptstadt zu schaffen, die deutlich macht, dass besonders die Evangelische Kirche nicht ihren Rückzug organisiert, sondern auch die Gesellschaft im 21. Jahrhundert mitgestalten will durch ihre Botschaft, ihre Gottesdienste und ihr soziales Handeln, und das nicht nur an alten vertrauten Orten, sondern auch in einem neuen, werdenden urbanen Zentrum", meint Stadtmissionsdirektor Hans-Georg Filker.

Ingrid Schellhammer, Mannheim, September 2010