Die Götzen des Verwirrers

Evangelische Anmerkungen zu Mt. 3,16 bis 4,12

von Hartmut Futterlieb

Der Teufel ist los. Das ist nicht nur eine Redensart, das ist auch zu spüren, wenn ich genau hinschaue, was um mich herum vorgeht. Ist es denn möglich, daß 358 Milliardäre so viel Vermögen aufgehäuft haben wie fast die Hälfte der Menschheit, 45 % der Weltbevölkerung (So der Bericht der UNO 1996), zum Überleben zur Verfügung haben? Ist es möglich, daß 1992 130 Milliarden DM Steuereinnahmen illegal, halblegal oder auch legal hinterzogen wurden, während gleichzeitig Inspekteure ausgeschickt werden, um Sozialhilfeempfänger zu überprüfen, die Sozialhilfe selbst gekürzt und die Bedingungen für Arbeitslose verschlechtert werden?

Das deutsche Wort "Teufel" kommt aus dem griechischen "diabolos". Und das heißt wörtlich: "Durcheinanderwerfer". Wir kommen an alle Informationen heran, aber sie sind so "durcheinander-geworfen", daß wir nicht mehr wissen, was wichtig ist und was nebensächlich. Um den "Durcheinanderwerfer", den "Verwirrer" geht es auch in der Erzählung, die der "rabbinische Schriftgelehrte" unter den Evangelisten, Matthäus, so aufgeschrieben hat:

"Getauft aber
stieg Jesus sofort herauf aus dem Wasser.
Und da! Es öffneten sich ihm die Himmel
und er sah den Geist Gottes herabkommen wie eine Taube
und kommend auf ihn.
Und da! Eine Stimme aus den Himmeln sagt:
"Dies ist mein Sohn, der geliebte, an dem ich Gefallen fand" (Jes. 42,1; Ps.2,7)

Darauf
wurde Jesus hinaufgeführt in die Wüste vom Geist
um geprüft zu werden vom Diabolos (dem Verwirrer).
Und er fastete vierzig Tage und vierzig Nächte,
danach war er hungrig.
Und es kam der Versucher zu ihm und sagte:
"Wenn du bist Sohn Gottes,
befiehl, daß diese Steine Brot werden:"
Er aber antwortete und sagte:
"Es steht geschrieben:
»Nicht vom Brot allein leben wird der Mensch,
sondern von jedem Wort,
das aus dem Munde Gottes ausgeht.«"

Da nimmt ihn der Diabolos (der Verwirrer) mit in die Heilige Stadt
und stellt ihn auf die Zinne des Tempels
und sagt zu ihm:
"Wenn du bist Sohn Gottes,
wirf dich hinunter!
Es ist nämlich geschrieben:
»Seinen Engeln wird er deinetwegen befehlen,
und auf Händen werden sie dich tragen,
damit du nicht etwa deinen Fuß anstößt an einen Stein.«"
Es sagte Jesus zu ihm:
"Wiederum ist geschrieben:
»Du sollst nicht versuchen den Herrn, deinen Gott.«"

Wieder nimmt ihn der Diabolos (der Verwirrer) mit auf einen sehr hohen Berg
und zeigt ihm alle Königreiche der Welt
und ihre Herrlichkeit
und sagt zu ihm:
"Dies werde ich dir geben,
wenn du niederfällst
und mich anbetest."
Darauf sagt Jesus zu ihm:
"Weg mit dir, Satan!
Geschrieben ist nämlich:
»Den Herrn, deinen Gott sollst du anbeten,
und ihm allein sollst du dienen.«"

Darauf verläßt ihn der Diabolos (der Verwirrer)
Und da! Boten (Engel) kommen hinzu und dienten ihm.

Als er aber hörte, daß Johannes ins Gefängnis eingeliefert worden war,
wich er aus nach Galiläa...

Johannes war den Machthabern gefährlich geworden. Sein Ruf zur Umkehr wiegelte das Volk auf. Wer dem Volk die Wahrheit sagt, wird zum Unruhestifter erklärt. Aber wenn ein Volk verwirrt ist, dann läßt sichs leicht regieren. Dann können den Ärmsten Kürzungen zugemutet werden, die als "Sparmaßnahmen" "verkauft" werden, die Zukunft der Kinder kann verspielt werden, weil "Bildung sich nicht rechnet". Es kommt nur auf richtigen Worte an, sie müssen glaubhaft klingen, damit die Wahrheit überdeckt wird. "Wir brauchen unseren Herrscher Herodes, damit wir jemanden haben, der mit den Römern gut verhandeln kann", so hieß es damals. "Wir brauchen die freie Marktwirtschaft, weil wir sonst den "Standort Deutschland" verlieren", so heißt das heute. Johannes fragte danach, wer sich bereichert, wer andere Menschen unterdrückt, und das nannte er in der alten Prophetentradition "Sünde". Deshalb kam er ins Gefängnis.
Und Jesus tritt in seine Fußstapfen, er weicht aus. In Galiläa, dort wo in den Bergen sich die Wider-standsgruppen sammeln, dort beginnt er, Anhänger um sich zu scharen und ein Zeitalter der Gerech-tigkeit auszurufen, in dem "Blinde sehen, Lahme gehen und den Armen das Reich Gottes" zugesagt wird.

Aber vorher noch die Wüste. Sich zurückziehen, meditieren, herausfinden, was die Aufgabe ist. So erzählt es Matthäus. Vierzig Tage und vierzig Nächte. Das ist die Erinnerung an Mose, der das Volk aus dem Sklavenhaus in die Freiheit führt.
Aber hier am Ende der vierzig Tage taucht der Verwirrer auf, der Diabolos. Er will versuchen, alles noch einmal "durcheinanderzuwerfen", was dieser Jesus sich als Aufgabe gestellt hat. Und das geht natürlich am besten mit der Schrift. Religion ist schon immer ein gutes Mittel gewesen, um Menschen zu verwirren. Das gilt bis heute, wo sich alle möglichen kleinen und großen Gottheiten auf dem kapi-talistischen Markt anbieten, das niemand mehr zu fragen wagt: Was ist eigentlich wirklich "Gott", von dem in den biblischen Schriften die Rede ist. Man müßte nachlesen, um das herauszufinden, und man müßte eine Gruppe finden, um das zu diskutieren und man müßte in konkreten Handlungen herausfin-den, was denn so ein Satz bedeutet: "Den Armen Gerechtigkeit" oder "Er füllt die Bäuche der Hungri-gen und läßt die Reichen leer ausgehn."

 

Hier setzt der Durcheinanderwerfer an mit seiner ersten Versuchung:

Der Ökonom als Zauberer

Aus Steinen Brot machen. Das wäre doch eine Sache. War da nicht auch einmal so etwas wie Manna in der Wüste? Wäre das nicht etwas für diesen Zaubermann Jesus, der vierzig Tage ohne Essen und Trinken ausgekommen ist und der sich auf diesen Gott der hebräischen Tradition beruft? Einfach Steine zu Brot machen, dann ist der Messias, den alle erwarten, ökonomisch aus dem Schneider. Das ist nicht nur eine grandiose Arbeitsbechaffungsmaßnahme, das ist ein bißchen wie Schlaraffenland und ein bißchen wie die Rückkehr ins Paradies. Solche religiösen Führer wünschen wir uns doch: Der Guru, der Brot aus Steinen machen kann.

Steht das wirklich in der Schrift? Hat das etwas mit dem Manna zu tun, mit dem das Volk genährt wurde, als die Lage aussichtslos war?

Die Situation dieses Jesus ist eine andere: Er ging in die Wüste, um seine Aufgabe zu finden, Dazu brauchte es auch diese extreme Situation mit Hunger und Durst. Was der Durcheinanderwerfer ihm anbietet, soll die Situation verwirren. Jesus wird nicht aus dem Haus der Knechtschaft in die Freiheit geführt. Er ist jetzt, nach diesen vierzig Tagen nicht im Zustand aäußerster Verzweiflung. Natürlich hat er Hunger. Aber da braucht es keinen Zauber, sondern es braucht Klarheit:

"Nicht von Brot allein leben wird der Mensch,
sondern von einem jeglichen Wort, das vom Munde Gottes ausgeht."

Was vom Munde Gottes ausgeht, das ist die Schrift, die hebräische Bibel, oder wie wir gerne sagen: "Das Alte Testament"; denn das war die Bibel Jesu. Und dort ist klar, was das Wort ist, das "vom Munde Gottes" ausgeht: Es fordert Gerechtigkeit für die Armen und Unterdrückten ein, es schreit nach Frieden.

Das ist zu tun. Und das funktioniert nicht über einen Zauber, sondern über die mühselige Diskussion um die Schrift und über die mühseligen, immer wieder durch Rückschläge belastete Arbeit für eine Vermenschlichung der Menschen, die leicht am Galgen enden kann, wie dies auch mit Jesus gesche-hen ist. Brot kommt nicht aus den Steinen, sondern aus der Arbeit der Menschen. Die Ökonomie sollte nicht so tun, als könne sie mit Geld zaubern, sie sollte dafür sorgen, daß jede und jeder zu essen hat. Aber das bedeutet Produktion, menschliche Arbeit. Das hat nichts zu tun mit dem Spiel an der Börse.

 

Also der zweite Versuch des Durcheinanderwerfers:

Der Reiz der religiösen Ideologie.

"Wenn du bist Sohn Gottes..." Das ist natürlich eine Herausforderung. Da müssen ja übernatürliche Kräfte im Spiel sein. Energien, die aus geheimen Chakren fließen, Engel, die die Aura mit der Aura Gottes verbinden. Es gibt vieles, was ich mir dazu ausdenken kann und was ich dann zu einem religiö-sen System machen kann, das mir die Wirklichkeit verzaubert und so verwirrt. Und natürlich beruft sich der Diabolos auf die Schrift. Er ist ein Gelehrter, ein Schriftkundiger, so wie wir alle Schriftkun-dige sind, wenn wir uns auf den Wirtschaftsteil der FAZ berufen oder auf die Börsennachrichten im "Capital": Laßt uns ruhig das Risiko wagen. Die Engel werden uns schon auf Händen tragen. Auch wenn nur noch 3 % des Geldes, das täglich auf der Erde umgesetzt wird, eine Deckung im Bereich der realen Produktion, des Handels oder der Dienstleistungen hat: Die Engel der liberalen Marktwirtschaft werdens schon richten; denn im Grunde sind war ja alle Söhne Gottes, wir Börsenkundige.

Der Diabolos versucht Jesus mit der Schrift zu schlagen. Da kann doch jeder herauslesen, was er will, wenn er nicht lernt das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, den roten Faden aus dem verwirrenden Knäuel von Erzählungen herauszufinden, bei dem es immer um Vermenschlichung geht und nicht Vergottung: Armen ist das Reich zugesagt, nicht den Zauberern, die sich mit imaginären Engeln verbünden. Deshalb sagt Jesus: " Du sollst nicht versuchen den Herrn, deinen Gott."

 

Trotzdem versucht es der Diabolos noch einmal:

Die Gier nach Macht und Reichtum, die Gier nach politischer Herrschaft

Alle Königreiche der Welt werden da angeboten. Aber es ist klar in dieser Zeit, was Königreiche sind. Es sind gigantische Machtapparate, die die Völker aussaugen, so daß die Armut und das Elend in den letzten Jahren ungeheuerlich geworden ist. Und sicherlich ist auch das Römische Reich im Blick. Ein ungeheures globales Macht- und Wirtschaftssystem, mit Legionen als Schneller Eingreiftruppe, mit einem Bankensystem, daß das gesamte Reich durchzieht und alles abhängig macht vom Geld. Natür-lich gibt es Menschen, die den freien Handel loben, der die erlesensten Güter aus der gesamten dama-ligen Welt nach Rom oder in die anderen großen Städte schafft, dort wo die Reichen wohnen, die das bezahlen können, während die Menschen an den Rändern dieses Reiches kaum überleben können.

Aber inzwischen ist die Armut auch in den großen Städten eingekehrt. Die Klientel der Reichen, die dafür bezahlt werden, daß sie die richtigen Senatoren wählen, sind nicht mehr allein durch "Brot und Spiele" ruhig zu stellen.

Es beginnt unruhig zu werden im römischen Reich. Und solche Unruhe geht auch aus von Galiläa. Die Macht anbeten? Auf die Knie fallen, sich demütigen um des Reichtums willen? Die Verwirrung wäre vollkommen.

"Den Herrn Deinen Gott sollst du anbeten und ihm allein dienen."

Das ist ein letztes Wort. Darauf hat der Verwirrer nichts mehr zu sagen, er muß das Weite suchen. Daß das ein klares Wort ist, können wir uns daran verdeutlichen, daß dieses "Gott dienen" zugleich auch immer ein Hinweis darauf ist, wem nicht zu dienen ist: Dem Kaiser in Rom ist nicht zu dienen. Hero-des ist nicht anzubeten. Aber auch nicht das Geld, der Gott Mammon, auch nicht der neueste Kick der gerade "in" ist oder der totale Markt, dessen Opfer "in Kauf genommen" werden.

Die Schrift treibt uns zur Auseinandersetzung mit allen kleinen und großen Göttern, denen wir hinter-herlaufen, oft verwirrt und durcheinandergebracht. Manchmal brauchen wir eine Zeit in der Wüste, um wieder klar zu sehen.

Nach der Wüste beginnt Jesus seine Tätigkeit in Galiläa.

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